Fastnachter entdecken die Wa(h)re Liebe

TRIER. Wenn die Hüllen fallen, steigt die Stimmung: Leicht geschürzte Darbietungen lassen Männlein und Weiblein bei Karnevalssitzungen neuen Stils gleichermaßen ausrasten. Für Kritik hat man wenig Verständnis.

Solcherlei kulturelle Höhepunkte sieht die Aula der Hauptschule Prüm auch nicht alle Tage: Wo sonst Schüler mehr oder minder brav die Bildungsbemühungen der Pädagogen verfolgen, verfolgten kürzlich an einem kühlen Januar-Sonntag 400 männliche Augenpaare eine junge Dame namens Vesna, die sich Stück für Stück ihrer "Moulin-Rouge"-Kostümierung entledigte. Mit jedem Kleidungsstück kochte der Saal höher, angefeuert von Moderator Markus Fischbach. Manchmal heißt Vesna auch Carmen oder Francesca, mal kommt sie aus Warschau, mal aus Rio. Aber der Striptease gehört zum Standardprogramm aller Herrensitzungen, so wie der Gardemarsch bei keiner traditionellen Kappensitzung fehlen darf. Da sei doch nichts dabei, findet Markus Fischbach, es werde doch "nicht mehr geboten als man jeden Nachmittag im Fernsehen sieht". Im Übrigen bleibe das allerletzte Kleidungsstück stets an Ort und Stelle, "mehr als oben ohne ist bei uns nicht drin". Die Akzeptanz auf dem Lande scheint groß zu sein. Allenfalls "irgendwelche klösterlichen Frauen" würden sich aufregen, sagt Herren-Sitzungs-Pionier Fischbach, dem seine Popularität zur Kandidatur für die anstehenden Prümer Bürgermeisterwahlen verholfen hat. Da zieht der Sozialdemokrat sogar an einem Strang mit CDU-Landtags-Fundi Michael Billen, der in der letzten Session Kritik an den barbusigen Fastnachts-Auftritten als "lachhaft" gegeißelt hatte. "Geht doch lieber zur Erotik-Messe"

Gestandene Traditions-Karnevalisten wie der Trierer Heuschreck-Präsident Gustl Thormeyer meinen dagegen, solcherlei Exzesse hätten "in unserer Fastnacht nix zu suchen". Das habe doch mit angemessener "Fröhlichkeit nichts zu tun", wettert die graue Eminenz der Trierer Narrenszene. Wer dergleichen Bedürfnisse erfüllt sehen wolle, dem bleibe doch "ein Nachtclub-Besuch oder die Erotik-Messe in der Messehalle". Doch der Trend geht Richtung nackte Tatsachen. Und im Zeitalter der Gleichberechtigung wollen die Damen ihren männlichen Vorreitern dieses Vergnügen nicht exklusiv überlassen. So entschlossen sich zwei mutige Frauen von der angesehenen Eurener Koobengarde, im vergangenen Jahr zu einer "Damensitzung" einzuladen. "Wir kannten das von der Herrensitzung aus Waldrach und wollten eine Art Gegenstück für uns Frauen machen", sagt Initiatorin Marion Silano. Man lud die Männerballette befreundeter Karnevalsvereine ein, was das Bedürfnis nach Narretei, aber nicht unbedingt die Lust auf ästhetische Genüsse befriedigte. So kamen noch zwei entkleidungswillige männliche Profis hinzu, die zwar auch nicht das Allerletzte offenbarten, aber das weibliche Publikum zu Reaktionen reizten, die die TV -Berichterstatterin zu der Überschrift "Wehe, wenn sie losgelassen" inspirierten. "So ein Erfolg war in Trier noch nie da", resümiert Koobengarden-Präside Frank Weiersbach, "auch wenn ein paar Leute ihre Problemchen damit haben". Er rechnet mit Nachahmern: "Viele würden gern, aber trauen sich noch nicht." Und so könnte künftig, wenn Mama sagt, sie gehe wegen "dem Neger" zur Fastnachtssitzung, nicht zwangsläufig das Humba-Täterä-Liedgut vom berühmten Dachdecker Ernst aus Mainz gemeint sein, sondern möglicherweise Stripper Joe. Eine Vorstellung, die Ober-Karnevalist Hans Peters wahrscheinlich nicht sonderlich behagt. Gewisse Dinge, betont der Vorsitzende des Landesverbandes Rhein-Mosel-Lahn im Bund deutscher Karnevalisten (BDK), sehe man heute "nicht mehr so eng", zum Beispiel erotische Motive auf rosenmontäglichen Zugwagen. Solcherlei Frivolitäten führten vor wenigen Jahren noch zu massiven Verwerfungen bei den Verwaltern des organisierten Frohsinns. Aber irgendwo, meint der Vorständler, müsse die Sache ihre Grenzen haben. Dann sagt Nordlicht Peters seinen Schäfchen auch schon mal: "Ach Kinners, lasst das sein."

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