Landespolitik FDP-Fraktionschefin Willius-Senzer: „Es wäre mein Wunsch, die Ampelkoalition fortzusetzen“

Mainz · Die FDP-Fraktionschefin (75) verrät, warum sie Politik für Teenies macht und das Sozialticket im Land ablehnt. Und sie erinnert sich an eine unvergessliche Fahrt auf den Champs-Élysées.

Cornelia Willius-Senzer kann eine der ungewöhnlichsten Biographien im rheinland-pfälzischen Landtag erzählen. Die Tanzlehrerin fand erst mit gut 60 Jahren in die Politik, mit 75 wurde sie Fraktionschefin der FDP – und will da besonders die Rechte Jugendlicher erweitern. Im letzten Teil der TV-Sommerinterviews, die Redakteur Florian Schlecht mit allen Fraktionschefs führt, spricht sie über ihr Faible für junge Inhalte und das Ampelbündnis.

Frau Willius-Senzer, Sie sind nicht nur FDP-Fraktionschefin, sondern auch Tanzlehrerin. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen politischer Bühne und dem Parkett?

CORNELIA WILLIUS-SENZER Als Tanzlehrerin will ich Menschen helfen, schöne Tage zu erleben – wie in der Politik. Von den ersten Schritten bis zum Tanz ist es ein weiter Weg, der sich aber lohnt – wie bei politischen Prozessen. Bei den Umgangsformen ist mir wichtig, Rücksicht aufeinander zu nehmen und einen Rempler auf der Tanzfläche nicht gleich als Angriff auf Leib und Leben zu sehen – wie in der politischen Sprache. Sie sehen, es gibt viele Vergleiche.

Ihr Vorgänger Thomas Roth ist als FDP-Fraktionschef auf dem politischen Parkett ausgerutscht und nach vermehrter Medienkritik zurückgetreten. Was machen Sie nun anders als er?

WILLIUS-SENZER Ich bin eine starke Führungskraft. Mir ist wichtig, dass jeder mit Freude zur Arbeit geht. Und ich akzeptiere jeden wie er ist, weil es keinen Fisch ohne Gräten gibt. Auch ein Filetstückchen wie ich hat Gräten (lacht).

Inhaltlich müssen Sie noch zulegen. Bislang wirkt die FDP-Fraktion unscheinbar.

WILLIUS-SENZER Das ist Unsinn. Nur ein paar Beispiele: Wir haben als Fraktion dafür gekämpft, die Besoldung der Beamten zu erhöhen, um eine Abwanderung von Lehrkräften und Polizisten zu verhindern. Bei der Unterrichtsversorgung setzen wir uns langfristig für 105 Prozent ein. Bei der freiwilligen Feuerwehr haben wir ein freiwilliges soziales Jahr ermöglicht, das wir nun auch in den grünen Berufen fordern. Und wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Regionalzüge freies W-Lan haben. Zwischen Koblenz, Trier und Saarbrücken surfen Nutzer schon 2019 frei im Internet.

Die Landes-CDU lästerte in dieser Woche, die FDP schicke in kritischen Fragen im Ampelbündnis nur ihren Ehrenvorsitzenden Rainer Brüderle vor. Ist das die liberale Taktik?

WILLIUS-SENZER Das ist Quatsch. Wir vertreten nach innen und außen unsere Positionen mit viel Selbstbewusstsein. Auf die Arbeit des Bundes der Steuerzahler nehmen wir keinen Einfluss. Vielmehr würde es mich interessieren, wer bei der CDU die Richtung vorgibt. Frau Klöckner? Herr Baldauf? Ich habe den Eindruck, dass bei den Christdemokraten viel im Unklaren ist. Klare Linien und Ideen sind nicht zu erkennen.

Hat sich das Verhältnis zur CDU verändert, seit Christian Baldauf Julia Klöckner als Fraktionschef abgelöst hat?

WILLIUS-SENZER Wir pflegen ein professionelles und kollegiales Verhältnis zur CDU. So gehört es sich auch unter Demokraten. Dabei ist es mir eigentlich relativ egal, wer Vorsitzender der CDU-Fraktion ist.

Zurück zum Sozialticket: Die Grünen fordern Mittel für den Doppelhaushalt 2019/20, damit Geringverdiener günstig Bus und Zug fahren können. Geht die FDP diesen Weg in der Ampelkoalition mit?

WILLIUS-SENZER Der Bundesgesetzgeber hat im monatlichen Hartz-IV-Regelsatz ein Budget für Mobilität vorgesehen. Damit soll sichergestellt werden, dass auch sozial schwächere Menschen im Alltag ausreichend mobil sind. Wer der Ansicht ist, dass dieser Betrag nicht ausreicht, muss sich auf Bundesebene für eine entsprechende Erhöhung einsetzen. Wir sehen das Land in dieser Frage nicht in der Pflicht.

Sie sind mit 75 Jahren die älteste Fraktionschefin des Landtags, haben aber einen Faible für jugendliche Inhalte. Wie für das Wählen mit 16. Warum?

WILLIUS-SENZER Als Tanzlehrerin habe ich mein ganzes Leben lang mit jungen Leuten zu tun, trinke Kaffee mit ihnen, halte Schwätzchen. Mein Eindruck war immer: Wenn wir Jugendliche ernst nehmen, engagieren sie sich auch. Je früher, desto besser.

Sie unterstützen auch das begleitete Fahren mit 16.

WILLIUS-SENZER Die Unfälle gehen zurück, wenn ein erfahrener Kraftfahrer junge Menschen unterstützt. Außerdem ist es ein beglückendes Gefühl, in jungen Jahren ein Auto zu steuern. Ich vergesse nie, wie ich das erste Mal durch Paris gefahren bin – und fünfmal über die Champs-Élysées kurvte, weil ich den Ausgang nicht gefunden habe (lacht).

Wie wollen Sie verhindern, dass junge Menschen mit dem Führerschein immer häufiger aus dem ländlichen Raum fliehen, wo die FDP-Fraktion einen Schwerpunkt setzen will?

WILLIUS-SENZER Ich sehe es als große Gefahr, dass auf dem Land immer mehr weiße Flecken entstehen. Wir müssen gestärkt alles dafür tun, dass irgendwann nicht nur die Älteren auf den Dörfern wohnen. Dazu braucht es Kitas, Schulen, gute ärztliche Versorgung und natürlich eine starke Wirtschaft vor Ort. Dafür sorgen wir.

Die CDU-Fraktion schlägt bei ärztlicher Versorgung mehr Medizinstudenten vor, von denen sich einige verpflichtend an den ländlichen Raum binden und im Gegenzug gefördert werden. Eine gute Idee?

WILLIUS-SENZER Ich hinterfrage eine solche Quote. Wie wollen wir das machen? Nehmen wir einem Studenten sein ganzes Geld zurück, wenn er sich mittendrin entscheidet, eine ganz andere medizinische Richtung einschlagen zu wollen? Die Anreize müssen andere sein. Es braucht mehr medizinische Versorgungszentren und den Ausbau der Telemedizin.

Würden Sie nach der Legislaturperiode 2021 die Ampel gerne weiterführen, wenn es die nötige Mehrheit hergibt?

WILLIUS-SENZER Ja, es wäre mein Wunsch, die Ampelkoalition fortzusetzen. Vielleicht sind wir nicht die Schlagzeilen-Bringer, doch wir arbeiten ruhig zusammen, setzen vieles verlässlich durch, harmonisch und nicht im Streit. Die Berliner Politik könnte sich von Rheinland-Pfalz was abgucken.

Inwieweit?

WILLIUS-SENZER Wenn ich die Konflikte in der Union verfolge, war es richtig von der FDP, nicht in die Jamaika-Koalition gegangen zu sein. Wir haben es zum Glück nicht nötig, uns mit Autos und Staatssekretären abspeisen zu lassen. Der Satz von Christian Lindner, lieber nicht zu regieren als falsch, ist heute richtiger denn je.

Wie sehen Ihre persönlichen Karrierepläne nach 2021 aus?

WILLIUS-SENZER Ich kandidiere erst mal wieder auf kommunaler Ebene. Im Land gilt für mich: Voran, voran, voran. Ich will Initiativen voranbringen und in drei Jahren sagen können: Das war die beste FDP-Fraktion, die es in Rheinland-Pfalz je gegeben hat.

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