Flutkatastrophe an der Ahr Mitglieder der Einsatzleitung in Ahrweiler berichten: „Sind von der Lage überrannt worden“

Mainz · Die Befragung von Mitgliedern der Technischen Einsatzleitung bei der Flutkatastrophe im Ahrtal zeichnet ein Bild von überforderten Kräften vor Ort. Personell unterbesetzt haben sie nicht mit dem Ausmaß der Flutwelle gerechnet - und auf Unterstützung vom Landrat oder dem Land konnten sie kaum zählen.

Flutkatastrophe in Ahrweiler: Einsatzleitung war überfordert
Foto: dpa/Boris Roessler

„Wir sind einfach irgendwann von der Lage überrannt worden“, berichtet Udo Schumacher bei der Vernehmung. Für ihn sei über den Landkreis Ahrweiler ein Tsunami gezogen. Der ehemalige Kreisfeuerwehrinspekteur habe in 40 Dienstjahren viel erlebt - „aber das hier sprengt alles“. Schumacher musste am Freitag seine Eindrücke von der Flutkatastrophe vor dem Untersuchungsausschuss in Mainz schildern. Am 14. Juli 2021 war er Mitglied der Technischen Einsatzleitung (TEL) im Kreis Ahrweiler.

Der Untersuchungsausschuss nähert sich derzeit dem Kern des örtlichen Geschehens während der Flutkatastrophe. Denn der Kreis hatte am Nachmittag die Einsatzleitung übernommen und einen Kellerraum in Ahrweiler bezogen. Bislang waren die Geschehnisse während der Flut dort im Unklaren geblieben. Unter anderem die Frage, warum der Katastrophenalarm - die sogenannte Warnstufe fünf - so spät ausgerufen wurde. Die TEL steht auch im Fokus, weil die Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler und den ehrenamtlichen Brand- und Katastrophenschutzinspekteur des Kreises als Leiter der TEL ermittelt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Letzterer verweigerte deshalb am Freitag auch seine Aussage.

Landrat nur zwei Mal kurz gesehen

Die weiteren TEL-Mitglieder haben mit ihren Aussagen im Untersuchungsausschuss nun sowohl das Land als auch Pföhler belastet. Schumacher sagte, den ehemaligen Landrat habe er während des Einsatzes bei der Flut nur zwei Mal kurz gesehen. Bei einem Besuch hatte Pföhler prominente Begleitung. Innenminister Roger Lewentz (SPD) hatte sich um etwa 19.30 Uhr die Technische Einsatzleitung angesehen. „Mir ist nur bekannt, dass er reingekommen ist und ein Foto gemacht wurde“, sagte Schumacher. Lewentz berichtete bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss, dass er eine ruhig und konzentriert arbeitende Einsatzleitung gesehen habe.

 So sieht der Raum der Technischen Einsatzleitung in Ahrweiler aus. Der Untersuchungsausschuss hatte sich die Örtlichkeit bei einem Termin vor wenigen Wochen angeschaut.

So sieht der Raum der Technischen Einsatzleitung in Ahrweiler aus. Der Untersuchungsausschuss hatte sich die Örtlichkeit bei einem Termin vor wenigen Wochen angeschaut.

Foto: dpa/Thomas Frey

Einsatzleitung war überfordert

Schumacher konnte den Zeitpunkt nicht mehr präzisieren, die TEL sei dieser Aufgabe aber nicht gewachsen gewesen, sagte er. „Mit den Mitteln und Möglichkeiten, die wir hatten, haben wir alles daran gesetzt zu tun, was wir tun konnten.“ Aber eine kleine, örtliche TEL, wie sie das gewesen seien, sei mit so einer Lage überfordert - „ das müsste eigentlich jedem bewusst sein“, so Schumacher. Kürzlich hatte im Untersuchungsausschuss ein Gutachten für Aufruhr gesorgt, wonach das Land in dieser Lage womöglich automatisch für die Einsatzleitung zuständig gewesen sein könnte.

„Finger wund gewählt, um an Hubschrauber zu kommen“

Vom Land hatten sich die ehrenamtlichen TEL-Mitglieder durchaus mehr Unterstützung erhofft. „Erwartet hätte ich jede mögliche Hilfe, die uns hätte helfen können“ – ob von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier oder vom Innenministerium, sagte Schumacher. „Gehen Sie mal davon aus, dass wir uns die Finger wund gewählt haben, um an Hubschrauber heranzukommen.“ Ihm sei dann von der ADD gesagt worden, ob er nicht eine E-Mail schicken könne, sagte Schumacher. Dann sei er deutlich geworden und habe geantwortet: „Nimm diesen Anruf bitte als bindend an und setze ihn um“. Immer wieder hatte sich bei Befragungen im Untersuchungsausschuss gezeigt, dass Hubschrauber in der Flutnacht Mangelware gewesen sind - auch, weil das Land selbst keinen einzigen mit Seilwinde besitzt. Dabei hatte man aus Ahrweiler laut Schumacher nach dem Jahrhunderthochwasser 2016 Nachbesserungen gefordert.

„Wir machen gleich Feierabend“

2016 ist an diesem Freitag immer wieder das Stichwort. An den Ausmaßen dieses Hochwassers hatten sich die Einsatzkräfte in Ahrweiler offenbar orientiert. Die Pegelprognose zeigte jedoch schon am Nachmittag 1,5 Meter mehr an als die Ahr fünf Jahre zuvor erreicht hatte. Bei der Interpretation dieser Zahlen kam man in der TEL offenbar nicht zum selben Schluss wie die heutige Landrätin des Landkreises Ahrweiler. Cornelia Weigand hatte schon früh in der Kreisverwaltung Ahrweiler angerufen und gebeten, den Katastrophenalarm auszurufen. Erhört wurde sie dort aber nicht, denn dies geschah erst gegen 23 Uhr. Stutzig wurde Sascha Cremer, ein weitere TEL-Mitglied, dennoch als er die Prognosen sah. Er rief bei der SGD Nord an, um zu fragen, ob es wirklich sein könne, dass die fünf Meter erreicht würden. Die Antwort: Das könne durchaus sein, die Zahlen seien aber maschinell erstellt. Seine Bitte um hydrologische Beratung lehnte die SGD laut Cremer ab. Das sei so nicht vorgesehen. „Wir machen gleich Feierabend.“

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