Frühwarnsysteme als Schutzschild

MAINZ. Soziale Frühwarnsysteme, verstärkte Elternberatung und in Familienhilfe geschulte Hebammen sollen in Rheinland-Pfalz Kinder besser vor Vernachlässigung oder Misshandlung schützen. Doch die Kinderärzte wollen mehr: Sie fordern häufigere und breiter angelegte Vorsorgeuntersuchungen.

Riskante Lebensverläufe müssen früh erkannt werden, um rechtzeitig Hilfe zu bieten und einzugreifen, so das Credo von Familienministerin Malu Dreyer (SPD), wenn es um das Wohl der Kinder geht. Daher setzt das Land unter anderem auf Elternkurse unter dem Motto "Auf den Anfang kommt es an" und lässt Hebammen sozialpädagogisch fortbilden, damit sie jungen Eltern vor und nach der Geburt auch bei familiären Alltagsproblemen helfen können. Projekte mit dem Titel "Starke Mütter - starke Kinder" für benachteiligte Familien wurden gestartet.Ärzte fordern verbindliche Vorsorgeuntersuchungen

Gesundheitsteams sind unter anderem auch in der Stadtteilarbeit in Trier aktiv und engagieren sich in der Gesundheitsvorsorge für Kinder in schwierigen Verhältnissen. Ganz neu ins Leben gerufen werden soziale Frühwarnsysteme, die in Kindertagesstätten und Schulen ansetzen. Aus Sicht der Kinderärzte können diese Vorbeugemaßnahmen zum Schutz vor Vernachlässigung oder Misshandlung allerdings nur optimal funktionieren, wenn es gleichzeitig verbindliche Vorsorgeuntersuchungen für den Nachwuchs mit gesetzlich geregelter Meldepflicht gibt. "Gerade gefährdete Familien halten die Vorsorgetermine nicht ein", sagt Ingrid Mayer vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Geht es nach den Medizinern, gibt es künftig nicht nur vier zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen, um etwa Untersuchungslücken für Drei-, Sieben- oder Neunjährige zu schließen. Die Vorsorgepakete sollen auch erheblich ausgeweitet werden, damit neben der Entwicklung auch Verhaltensstörungen, Probleme in Sozialisation oder gesundheitliche Gefahren eines übergroßen Medienkonsums erkannt werden können. Das frühzeitige Erkennen von Anzeichen der Verwahrlosung oder Misshandlung gehöre in ihre Hände, reklamieren die Kinderärzte. Schlaflosigkeit als Warnzeichen

Misshandlungen fallen nicht immer auf, räumt Mayer ein, doch gibt es oft sichtbare Warnzeichen wie Schlaflosigkeit, zu wenig essen oder die Neigung zu hysterischem Verhalten. Werden typische Verletzungsmuster wie Striemen, blaue Flecken oder Brandwunden entdeckt, folgt oft die Einweisung ins Krankenhaus, nicht zuletzt, um die Kinder erst einmal abzuschirmen. Dass körperliche und sexuelle Misshandlung auch bei dringendem Gewaltverdacht bislang nicht zu Pflichtstrafanzeigen gehören, und dass es keine Meldepflicht gegenüber Behörden gibt, sorgt immer wieder für Diskussionen. Nicht wenige Ärzte fürchten, Eltern könnten davon abgehalten werden, in kritischen Situationen medizinische Hilfe für die Kleinen zu suchen. Auch der Kinderschutzbund hat entsprechende Vorbehalte und erstattet nicht automatisch in Problemfällen Anzeige. "Unsere Schutzdienste setzen auf Hilfe und darauf, dass die Menschen zur Beratung kommen", sagt Jeanette Rott-Otte, Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes. Schutzdienste sollen helfen statt anzeigen

Sie sieht ihre Mitarbeiter, die jährlich mit mehr als 17 000 Problemfällen konfrontiert werden, in einer schwierigen Situation. Auch weil die Polizei immer wieder auf mehr Anzeigen dringt. Kinderärzte und Kinderschützer fordern eine engere Verzahnung der Hilfsangebote, die nach ihrer Überzeugung bereits bei den werdenden Müttern einsetzen müssen. Frühzeitig Konflikte und Stress-Situationen in den Familien abzubauen, ist in ihren Augen die beste Vorsorge.

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