Ganztagsunterricht soll mehr sein als nur Betreuung

Trier/Mainz · Rheinland-Pfalz ist stolz, schon früh, nämlich 2002, auf den Ausbau der Ganztagsschule gesetzt zu haben. Umso verärgerter ist man in Mainz, dass die Bertelsmann-Stiftung dem Land nun vorwirft, beim Ganztagsangebot hinterherzuhinken.

Trier/Mainz. Ganztagsschule ist nicht gleich Ganztagsschule.
In Rheinland-Pfalz setzt man eher auf die gebundene Form. Dort ist der Besuch des Ganztagsunterrichts an vier Tagen der Woche von 8 bis 16 Uhr verpflichtend. Im Gegensatz zum offenen, unverbindlichen Angebot. Das nutzten die Schüler nach Bedarf, sagt eine Sprecherin des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums.
Laut einer gestern vorgestellten bundesweiten Studie zur Nutzung der Ganztagsschule wird in Rheinland-Pfalz der "gebundene Ganztag" von 20,7 Prozent der Schüler genutzt. Weitere 2,9 Prozent besuchten ein offenes Ganztagsangebot. Dieses Angebot ist in den Augen des Koblenzer Bildungsforschers Stefan Sell eher eine Mogelpackung. Dabei gehe es lediglich um eine Aufbewahrung der Kinder, nicht um ein echtes Bildungsangebot, sagt Sell im Gespräch mit unserer Zeitung. Eine echte Ganztagsschule müsse über die normale Betreuung hinausgehen und zusätzliche Bildungs- und Freizeitangebote für die Schüler machen.
Doch genau beim Ausbau dieses Angebots hinkt Rheinland-Pfalz laut der Studie hinterher. "Der Ausbau der Ganztagsschulen muss beschleunigt werden. Ganztagsschulen ermöglichen eine bessere individuelle Förderung aller Kinder und damit mehr Chancengerechtigkeit", sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Er fordert einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz.
Aus Sicht des Bildungsministeriums lassen sich die Ganztagsangebote in den einzelnen Bundesländern aber nicht so einfach vergleichen, wie das die Bertelsmann-Stiftung tut. Während Rheinland-Pfalz nur die Schüler als Ganztagsschüler wertet, die tatsächlich das Angebot nutzten, würden andere Länder jeden Schüler an einer Ganztagsschule als Ganztagsschüler erfassen, auch wenn er nur halbtags unterrichtet werde.
Sell wundert es nicht, dass Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz nicht der absolute Renner sind. Immer dann, wenn im Bildungssystem etwas freiwillig sei und Wahlmöglichkeiten bestünden, entschieden sich viele Eltern für das Altbekannte, in dem Fall eben die Halbtagsschule. Daher sei der Bedarf für Ganztagsschulen vielleicht gar nicht so hoch, wie immer propagiert werde. Und der Ausbau des Angebots im Land sei auch deshalb ins Stocken geraten, weil 2009 das vier Milliarden Euro schwere Bundesprogramm zur Förderung des Ganztagsangebots ausgelaufen ist, sagt Sell. Das Land sei finanziell an seine Grenzen gestoßen.
Den Grund dafür hat die CDU auch schon ausgemacht: " Mehr als eine halbe Milliarde Euro hat die Landesregierung am Nürburgring ohne zählbaren Erfolg vernichtet. Dieses Geld fehlt jetzt auch beim Ausbau des Ganztagsschulangebots", sagt die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Bettina Dickes.

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