Gedenkaktion für die Nazi-Opfer

Wittlich · Bald sollen in Wittlich sogenannte "Stolpersteine", in Stein gefasste Plaketten, die an die Verfolgten des Nationalsozialismus erinnern, vor der Justizvollzugsanstalt eingesetzt werden (der TV berichtete). Das sei der Auftakt, so der Mitinitiator Justinus Maria Calleen. Langfristig erhoffe man sich auch die Verlegung von Stolpersteinen in der Innenstadt. Vor mehreren Jahren ist ein ähnliches Projekt gescheitert.

 Stolpersteine wie diese sollen bald in Wittlich an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. TV-Foto: Archiv/Alexander Schumitz

Stolpersteine wie diese sollen bald in Wittlich an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. TV-Foto: Archiv/Alexander Schumitz

Wittlich. Seine Mitgefangenen mussten ihm das Brot mit Wasser einweichen, damit er es essen konnte: Bei Verhören hatte man ihm die Zähne ausgeschlagen. Der französische Priester Jean Daligault starb schließlich, von den Nazis gefangen genommen und gequält, weil er sich am französischen Widerstand, der Résistance, beteiligt hatte. Er war auch in der heutigen Justizvollzugsanstalt in Wittlich inhaftiert, wo mit einem Stolperstein an ihn erinnert werden soll.

Ein zweiter Gedenkstein wird Karl-Heinz Scheurer gewidmet sein. Wie Justinus Maria Calleen, ehemaliger Wittlicher Kulturamtsleiter und Mitglied der Georg-Meistermann-Gesellschaft, erläutert, wurde Scheurer 1935 zwangssterilisiert und 1941 von den Nazis ermordet. Scheurer wurde 1916 geboren und war in einem staatlichen Erziehungsheim untergebracht. Bei ihm wurde eine sogenannte Erbgutdiagnose mit dem Resultat "angeborener Schwachsinn" gemacht. Scheurer war ebenfalls zeitweilig im Wittlicher Gefängnis.

An der JVA sollen Stolpersteine an sie erinnern. Das haben die Georg-Meistermann-Gesellschaft und der rheinland-pfälzische Bürgerbeauftragte Dieter Burgard initiiert. Stolpersteine sind in Steine gefasste Messingplaketten, die die Namen von Opfern des Nazi-Regimes tragen und die im Boden vor Orten verlegt werden, an denen diese sich aufhielten. Das soll laut Calleen Auftakt für weitere Aktionen sein: "Endlich sollen Stolpersteine in die Innenstadt von Wittlich kommen."

Der TV hat um Stellungnahmen zum Projekt gebeten.
Die Stadt Wittlich:
Bürgermeister Joachim Rodenkirch: "Grundsätzlich bestehen aus Sicht der Stadt Wittlich keine Bedenken gegen die Verlegung von Stolpersteinen auf privatem Grund. Vielmehr begrüße ich die vielseitige Gedenkarbeit, die in der Stadt Wittlich bereits geleistet wird. Wir alle stehen in einer besonderen Verantwortung angesichts der schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit. Erinnerung ist somit ein wichtiges Element der Zukunftsgestaltung im Sinne von Toleranz, Gerechtigkeit, Dialog und Achtung der Menschenwürde."
Die Frage von Stolpersteinen im öffentlichen Bereich bedürfe einer differenzierten Betrachtung, nicht im Sinne von richtig oder falsch, sondern im Sinne einer Gesamtabwägung der unterschiedlichen Betrachtungen und Bewertungen der Thematik "Stolpersteine". Dabei müsse auch die ohnehin geleistete Gedenkarbeit, wie die Dauerausstellung in der Synagoge, die Arbeit des Emil-Frank-Institutes, das Engagement des Arbeitskreises Jüdische Gemeinde Wittlich, des Fördervereins Autobahnkirche St. Paul und des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge berücksichtigt werden.

Das Emil-Frank-Institut:
René Richtscheid, Geschäftsführer des Emil-Frank-Instituts: "Wichtig ist der Mensch und die Erinnerung an ihn, nicht der Stein." Ein Gedenkstein funktioniere nur, wenn man eine Lebenslinie nachvollziehen könne. Vor allen Dingen, so würde es jedenfalls häufig gehandhabt, unter anderem auch in Trier, soll ein Stolperstein nur verlegt werden, wenn auch die Nachkommen zustimmen. Grundsätzlich sollte ein Stolperstein nur am letzten und freiwilligen Wohnort verlegt werden. Dass erinnert werde sei der wichtigste Auftrag. Wie erinnert werde, sei sekundär und könne unterschiedlich sein. In manchen Orten würden Stolpersteine funktionieren, in anderen nicht. Richtscheid begrüßt indes, dass in Wittlich auch an nicht-jüdische Opfer der NS-Zeit erinnert werden soll.

Der Zentralrat der Juden:
Dr. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Ich sehe in der Aktion Stolpersteine eine bewegende Möglichkeit, im Alltag an die Verbrechen der Shoa zu erinnern. Die Juden, die damals deportiert und ermordet wurden, lebten in der Nachbarschaft, im gleichen Haus. Das wird durch die Stolpersteine noch einmal bewusst gemacht. Sie zeigen: Alle haben gesehen, was passierte. Alle haben es gewusst." Graumann erinnert auch an die kontroverse Haltung der jüdischen Gemeinden gegenüber Stolpersteinen. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrates, Charlotte Knobloch, lehne Stolpersteine ab, denn sie ermöglichen, dass auf den Namen "herumgetrampelt" werde. Graumann: "Diese Auffassung respektiere ich, teile sie aber nicht. Wer die Inschrift in einem Stolperstein lesen möchte, muss sich hinunterbeugen. Damit verneigt man sich quasi vor dem Opfer. Eine schöne Geste, finde ich. Denn es geht nicht um Zahlen, sondern um einzelne Menschen, die einen Namen hatten. Daran erinnern Stolpersteine auf wunderbare Weise."

Der Mitinitiator:
Bürgerbeauftragter Dieter Burgard sagt, dass Gunter Demnig europaweit über 40 000 solcher Steine verlegt und Auszeichnungen für seine Gedenkarbeit erhalten habe.

Eine Info-Veranstaltung zum Stolpersteinprojekt bietet die Georg-Meistermann-Gesellschaft am Montag, 27. Januar, 17 Uhr, im Wittlicher Casino. Eintritt frei. Verlegt werden die zwei "Stolpersteine" von Gunter Demnig am Samstag, 22. Februar.

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