"Halt muss nicht durch Gitter kommen"

TRIER. Sie werden mit Medikamenten ruhig gestellt oder mit Gurten fixiert: Solche freiheitsentziehenden Maßnahmen sind in der Altenpflege oft das Mittel der Wahl. Wann sind sie gerechtfertigt? Welche Alternativen gibt es? Darüber haben Fachleute am Montag bei einer Tagung in Trier diskutiert.

Die Zahlen, die Hans Peter Ehses von der Heimaufsicht Rheinland-Pfalz nennt, sind ernüchternd: Bei einer Erhebung erhielten 31 Prozent der Pflegebedürftigen Medikamente zur Ruhigstellung, 28 Prozent wurden "mechanisch", etwa durch Bettgitter, in ihrer Freiheit eingeschränkt. "Wir wollen heute für dieses Thema sensibilisieren und, wo möglich, nach Alternativen suchen", sagte Ehses am Beginn einer Fachtagung zum Thema "freiheitsentziehende Maßnahmen". Pflegekräfte stationärer Altenpflege-Einrichtungen, Juristen sowie Mitarbeiter von Behörden und Krankenkassen debattierten am Montag in der Katholischen Akademie im Rahmen der Initiative "Menschen pflegen" von Sozialministerin Malu Dreyer über das Tabuthema. Bevor Richter und Praktiker verschiedene Facetten beleuchteten, stimmte Liesedore Klenk, Leiterin eines Altenpflegezentrums in Pirmasens, die Tagungsteilnehmer ein. Sie warnte davor, demente Menschen "in die Schutzhaft der Nächstenliebe" zu nehmen, und zeigte das Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und Schutz auf. "Wir wollen Menschen Halt geben in einer zerfließenden Welt", sagte sie. "Der Halt, den ein Heim bietet, muss nicht durch Gitter kommen. Es braucht Menschen, die dafür sorgen." Klenk ging auch auf die schwierige Situation der Pflegekräfte ein. "Sie erleben Menschen, die schlagen, weglaufen, sich zu anderen ins Bett legen wollen." Angst vor Ansprüchen für den Fall, dass etwas passiere, erhöhten den Druck weiter, sagte Klenk. "Und in Stresssituationen steigt das Kontrollbedürfnis." Da heiße es dann schnell: "Sollten wir Frau X nicht fixieren, bis sie sich eingelebt hat?" Klenk forderte, sich Handlungsspielräume bewusst zu machen. "Die größte Feindin der Freiheit ist die Routine." Wichtig sei der Geist, in dem gepflegt werde. Es lohne sich, nachzufragen. "Warum ist Frau X immer um diese Zeit so unruhig? - Vielleicht muss sie einfach nur zur Toilette." Klenk appellierte an Pflegende, ihre Wahrnehmung zu trainieren, nach Lösungen zu suchen und auch einmal Risiken zuzulassen. Sie ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass es Situationen gibt, in denen freiheitsentziehende Maßnahmen unerlässlich sind. Angehörige und Betreuer ermutigte sie derweil, in Heimen nach dem Umgang mit dem Thema zu fragen. "Ich bin überzeugt, dass das Darüber-Reden die Angst nimmt."

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