Hatz auf mutmaßlichen Tierquäler treibt absurde Blüten

Betzdorf · Die Internet-Hatz auf einen mutmaßlichen Tierquäler (20) aus Betzdorf, der einen kleinen Hund misshandelt und das Ganze auf Video aufgenommen haben soll, treibt immer absurdere Blüten: Seit Tagen kursieren Hass-Seiten auf Facebook, die die Todesstrafe für den jungen Mann fordern. Einige Seitenbetreiber benutzten die empörten Tierfreunde als Klickvieh.

 Auf Hassseiten bei Facebook kursierte eine Falschmeldung, wonach ein mutmaßlicher Tierquäler aus Betzdorf krankenhausreif geschlagen wurde.

Auf Hassseiten bei Facebook kursierte eine Falschmeldung, wonach ein mutmaßlicher Tierquäler aus Betzdorf krankenhausreif geschlagen wurde.

Foto: Screenshot

Die Aufregung war groß, als vor einigen Tagen der Fall eines 20-jährigen Mannes aus Betzdorf (Westerwald) bekannt wurde , der einen Hundewelpen misshandelt und das Ganze auf Video aufgenommen haben soll. Nachdem das Video, das er vor einigen Wochen seiner Ex-Freundin zugeschickt haben soll, auf Youtube und Facebook verbreitet wurde, schlugen die Wellen hoch.

Der Fall wurde in sozialen Netzwerken nicht nur stark diskutiert, es schossen auch zahlreiche neue Facebook-Seiten aus dem Boden, die unter anderem die Todesstrafe für den mutmaßlichen Tierquäler forderten - inklusive Namens- und Adressnennung des Betroffenen. Binnen kürzester Zeit sammelten diese Seiten immer mehr Unterstützer ein.

Die Polizei bat angesichts massiver Reaktionen im Internet am Samstag um besonnenes Verhalten der aufgebrachten Tierfreunde. Im Raum Betzdorf gebe es mehrere Menschen gleichen Namens mit dem 20-Jährigen. Sie hätten mit dem Vorfall nichts zu tun. Nach Ansicht der Polizei gehen manche Reaktionen im Internet zu weit - sie müssten ebenfalls strafrechtlich bewertet werden.

Fan-Seite wurde umbenannt

Offenbar sind zahlreiche empörte Tierfreunde an der Nase herumgeführt worden. Die Rhein-Zeitung aus Koblenz berichtete , dass eine Seite, die zuvor die Bestrafung des mutmaßlichen Täters forderte, 100.000 Fans anlockte. Im Laufe des Samstags jedoch verschwand die Seite unter ihrem ursprünglichen Namen. Auch die meisten Beiträge verschwanden. Stattdessen zeigte sich die Seite plötzlich in einer anderen Aufmachung.

Diese "100.000 Facebook-Fans von Pranger und Todesstrafe dienten als dummes Klickvieh", kommentierte die Rhein-Zeitung das Geschehen.

Auch eine Falschmeldung verbreitete sich in Windeseile, wonach der 20-jährige Betzdorfer zusammengeschlagen worden sei und nun im Koma liege. Das Ganze ahmte eine Meldung der Presseagentur DPA nach und wurde mit einem Foto illustriert, das einen Mann in einem Krankenhausbett zeigt.

Wieder gab es viel Zustimmung unter den "Fans". Die Gerechtigkeit habe gesiegt, hieß es teilweise. Dumm nur: die Meldung war eine Ente, die offenbar andere Trittbrettfahrer verbreitet hatten. Das Foto stammt offenbar von einem spektakulären Fall aus Australien.

Der Fall erinnert an einen vergleichbaren Fall nach dem Mord an einem Kind in Emden (Niedersachsen) im Jahr 2012. Damals wurde ebenfalls im Internet zur Lynchjustiz gegen einen Tatverdächtigen aufgerufen - dessen Unschuld sich später heraus stellte.Meinung

Hört auf mit dem Internetpranger!Dass die Wellen hoch schlagen, wenn ein unschuldiges Tier misshandelt und gequält wird, ist verständlich. Auch mir als Tierfreund kommt die Galle hoch, wenn ich von so etwas höre. Aus unserer Geschichte sollten wir aber wirklich gelernt haben, die Strafverfolgung den dafür zuständigen Institutionen zu überlassen. Es gibt gute Gründe, warum nicht der wütende Mob über das Wohl oder Wehe eines Beschuldigten entscheidet. Ebenso gibt es gute Gründe, weshalb bei uns die Todesstrafe abgeschafft wurde.

Wer glaubte, dass wir das Prinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn" überwunden hätten, wird leider immer wieder eines Besseren belehrt. Das ist nicht nur unwürdig - alle, die mitmachen stellen sich zudem auf eine Stufe mit Tierquälern, Kinderschändern und anderen Straftätern. Hört also endlich auf, auf Facebook & Co. Hilfssheriff zu spielen und gegen andere Menschen zu hetzen, und fangt an zu denken!

r.gruen@volksfreund.de

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