Holpriger Start in den inklusiven Schulunterricht: Zu wenige Fachkräfte – Transportangebot für behinderte Kinder lückenhaft

Trier/Mainz · Seit Sommer ist das Thema Inklusion im Schulgesetz von Rheinland-Pfalz verankert. Der Start in eine neue Ära des gemeinsamen Lernens von behinderten und nichtbehinderten Kindern gelingt allerdings nicht reibungslos.

Beim gemeinsamen Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern setzt Rheinland-Pfalz auf Schwerpunktschulen, also Regelschulen mit einem inklusiven Unterrichtsangebot. Eltern können zwischen diesen und den klassischen Förderschulen wählen, die teilweise zu Förder- und Beratungszentren ausgebaut werden sollen. Nach Recherchen des Volksfreunds verhindern jedoch Wirtschaftlichkeitsregeln, dass in der Region mehr behinderte Kinder als bisher am Unterricht der Schwerpunktschulen teilnehmen. Viele Kinder müssten mit Bussen in die Schulen gefahren werden.
Doch den Kommunen ist es verboten, den Transfer bei weniger als fünf Kindern auf einer Strecke einzurichten.
Das zeigt der Fall des Down-Syndrom-Kinds Matteo Wilbert aus Pellingen (Kreis Trier-Saarburg), das nicht nach Trier gefahren werden kann, obwohl die Familie dies möchte. Triers Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) bedauert das ebenso wie der Trier-Saarburger Landrat Günther Schartz (CDU). "Wenn es uns erlaubt wäre, würden wir den Schülertransport gern zahlen", sagt Oberbürgermeister Jensen. Ihm zufolge muss das Land die Regeln ändern: "Solche Dinge müssen geregelt werden."

Auch der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern macht laut Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) Probleme. Darüber haben 500 Lehrer in Trier diskutiert. "Inklusion mit der Brechstange funktioniert nicht", sagt VBE-Landesgeschäftsführer Hjalmar Brandt. Obwohl derzeit nur an einem Viertel der 1600 Schulen im Land spezieller und gemeinsamer Unterricht mit behinderten Kindern angeboten werde, fehle dafür qualifiziert ausgebildetes Lehrerpersonal in erheblichem Umfang. "Die Inklusion steht nicht zur Debatte", sagt Brandt, "aber die dafür notwendigen Ressourcen fehlen."

Das Land stellt den Kommunen jährlich zehn Millionen Euro als Hilfe für die Umsetzung der in der UN-Menschenrechtskonvention festgeschriebenen optimalen Teilhabe behinderter Menschen am Alltagsleben zur Verfügung. Eine Vereinbarung ist am Dienstag unterzeichnet worden. 300.000 Euro erhält beispielsweise die Stadt Trier, 250.000 Euro der Kreis Trier-Saarburg.
Kommentar

Noch nicht ausgefeilt genug

Die Landesregierung öffnet das Schulsystem für Kinder mit Behinderungen. Sie muss das tun, denn die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Deutschland macht die Chancengleichheit von behinderten Menschen zu einem geltenden Recht. Der Einstieg in ein offenes Schulsystem geschieht in Rheinland-Pfalz mit ´Bedacht und in mehreren Schritten. Zunächst sollen Regelschulen mit einem speziellen inklusiven Angebot und entsprechend geschulten Lehrkräften den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern übernehmen. Förderschulen, einst Sonderschulen genannt, sollen zu Beratungszentren werden, die Schwerpunktschulen, aber auch andere Regelschulen in Fragen der Inklusion unterstützen. Das Schulgesetz wurde entsprechend geändert. So weit so gut.
In der Praxis zeigen sich aber bereits zum Start große Probleme. Die Bildungsverbände fordern mehr Fachpersonal. Die kosten Geld. Inklusionshelfer sind ebenfalls nicht umsonst zu haben, die Schülerverkehre auch nicht. So ist es kein Wunder, dass Kommunen und Land kontrovers über die Finanzierung der Inklusion diskutieren, kaum dass sie begonnen hat. Zudem geht es um den Zuständigkeitswirrwarr zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe, der schnellstens beseitigt werden sollte.
Die unsägliche Fünf-Schüler-Regel muss verschwinden. Finanziell nicht gut gestellte Eltern, die in einem abgelegenen Dorf auf dem Land leben, werden ohne aufreibenden Gang zum Sozialamt ihrem behinderten Kind sonst kaum das nahebringen können, was sich das Land so plakativ auf die Fahne geschrieben hat: Gleiches Bildungsrecht für alle! r.neubert@volksfreund.de

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