Hundeexpertin: „Die meisten Beißvorfälle entstehen nicht aus Aggression“

Trier · Kein Hund ist von Natur aus bissig oder böse, sagen Tierschützer. Es komme immer auch auf den Halter an. Aber wie werden Hund und Herrchen zu einem guten Gespann? Über wichtige Aspekte zum Thema hat unser Redakteur Rainer Neubert mit Jennifer Sonnendecker gesprochen, Inhaberin des Hundezentrums Mosel Dogs.

 Jennifer Sonnendecker spricht im TV über Hunde.

Jennifer Sonnendecker spricht im TV über Hunde.

Foto: Privat

Frau Sonnendecker, warum ist der Besuch einer Hundeschule wichtig?
Jennifer Sonnendecker: Wichtig ist dann der Besuch einer Hundeschule, wenn der Halter keine oder wenig Erfahrung in der Haltung aber vor allem im Umgang mit Hunden hat. Eine gute Hundeschule unterrichtet den Hundehalter nicht nur in Dingen wie Sitz-Platz-Bleib, sondern gibt vor allem Aufschluss über das Thema Hundeverhalten. Seinen eigenen Hund lesen zu lernen sollte in jeder Hundeschule der absolute Schwerpunkt in allen Unterrichtseinheiten sein. Wenn man an der Körpersprache und Stimmung des Hundes sein nachfolgendes Handeln vorhersehen kann, fällt es dem Menschen sehr leicht, ihn im Alltag durch jegliche Situationen zu führen.

Was ist bei Welpen besonders zu beachten?
Sonnendecker: Welpen stehen ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Deshalb ist es besonders wichtig, dass sie durch die ersten Monate ihres Lebens sicher, aber auch wirksam geleitet werden. Ein Welpe sollte an Artgenossen, andere Tiere, Menschen und schwierige Situationen behutsam herangeführt werden. "Das machen die unter sich aus" oder "da muss er durch" ist oft der Weichensteller für die Situationen, in denen der Hund später Schwierigkeiten zeigt. Ein junger Hund braucht Hilfestellung im Alltag. Den würde er auch von seinen Hundeeltern bekommen. Da sein, die Grundversorgung sicher stellen, Schutz bieten, ausreichend soziale Interaktion, aber auch Grenzen setzen sind die Grundpfeiler einer stabilen Beziehung zwischen Mensch und Hund.

Schäferhunde sind in der Beißstatistik des Landes die Rasse mit den meisten Zwischenfällen. Müssen Schäferhunde besonders behandelt werden?
Sonnendecker: Schäferhund in Deutschland immer noch die Hunderassen mit den meisten Würfen. 2014 wurden den Zuchtverbänden über 10.000 Welpen gemeldet, gefolgt vom Dackel mit 5500 und dem Deutsch-Drahthaar mit 3000 Nachkommen. Es ist also nicht verwunderlich, dass der Deutsche Schäferhund auch die Beißstatistik anführt. Etwas genauer betrachtet handelt es sich beim Deutschen Schäferhund um einen Hund, der früher an einer Herde gearbeitet hat. Seine Aufgabe war diese zu schützen und zusammenzuhalten. Das Beuteschema des DSH war ganz klar das Schaf. Als Familienhund wird diese Arbeitsrasse heute durch Hundesport ausgelastet. Führt man dies bewusst und verantwortungsvoll durch, stellt das in der Regel kein Problem dar.
Fängt man aber schon mit dem jungen Hund an übertriebene Wurf-/Renn- und Ballspiele zu gestalten, noch bevor er es gelernt hat ruhig zu bleiben, wenn sich ihm Bewegungsreize nähern, wird schon sehr früh das Beutegreifverhalten beim Hund angesprochen. Schnell rutscht in die Schablone, in die früher das Schaf passte, ein Objekt, zum Beispiel ein Ball oder die rennenden Nachbarskinder, mit denen der acht Wochen alte Welpe doch so süß durch den Garten gerannt ist. Die meisten Beißvorfälle entstehen nicht aus Aggression, sondern aus dem Beutegreifverhalten, oder falsch verstanden "Babysitterjobs" heraus. Also ja, man sollte diese Hunde besonders behandeln, genauso so wie alle anderen Rassen in Bezug auf ihre frühere Verwendung und Veranlagung. In den sensiblen Wochen und Monaten sollte man daher auf Dinge verzichten, die später zu Problemverhalten führen können. Man kann durchaus aus einem 12 Monate alten Hund noch eine Sportskanone machen, aus einer zwölf Monaten alten Sportskanone jedoch nur noch schwer einen Hund mit einer gesunden Impulskontrolle, Frusttoleranz und der Fähigkeit, sich ruhig und gelassen das Fußballspiel der Nachbarskinder anzusehen.

Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich einem aggressiven Hund begegne?
Sonnendecker: Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Es gibt viele unterschiedliche Ursachen, warum ein Hund aggressiv reagiert. Nur sehr selten gibt es wirklich "den aggressiven Hund". Aggression dient dazu, Störfaktoren situativ zu entfernen und gehört zum Kommunikationsrepertoire eines jeden Hundes. Um also eine angemessene Verhaltensweise beim Menschen zu empfehlen, muss man genau wissen, warum der Hund aggressiv reagiert. So eine Situation schnell und vor allem richtig einzuschätzen erfordert meist viel Wissen und eine gute Beobachtungsgabe. Sieht man sich einem aggressiven Hund gegenüber, ist vermutlich die beste Methode ein ruhiger Rückzug. Unserer Erfahrung nach kommen die meisten Beißvorfälle Mensch-Hund dadurch zustande, weil die körpersprachlichen Signale eines Hundes nicht richtig gedeutet wurden. Meist wollen die Hunde ihre Ruhe, sie wollen nicht angefasst werden, wenn sie irgendwo vorm Geschäft festgebunden sind oder mit ihrem Besitzern im Café sitzen.
"Der Hund muss sich das gefallen lassen." Nein muss er nicht. Auch ein Hund hat ein Recht auf Privatsphäre und Individualdistanz. Und jeder Besitzer eines Hundes hat die Verantwortung sein Tier entsprechend vor solchen Übergriffen zu schützen. Ein bisschen mehr Rücksicht auf beiden Seiten führt mit Sicherheit zu deutlich weniger Problemen. Und zum Thema "Kampfhunde"! Den Kampfhund gibt es nicht und er wird in der Hundeszene auch nicht als solcher kategorisiert. Wenn überhaupt spricht man hier von Listenhunden. Alle Listenhunde, die wir in der Hundeschule hatten oder haben, haben mit Bravour ihren Wesenstest bestanden. Die meisten von ihnen können problemlos mit Menschen und anderen Hunden zusammengebracht werden. Die wenigen Ausnahmen, die gesondert behandelt werden müssen, haben ihre Ursachen nicht in rassentypischen Verhaltensweisen. Hunde können gefährlich sein oder werden, jedoch beschränkt sich Gefährlichkeit und Aggression nicht auf bestimmte Rassen. Sie ist vielmehr ein Produkt von schlechten genetischen Anlagen, Erfahrungen oder Missverständnissen.Extra Zur Person

Jennifer Sonnendecker (35), ist Inhaberin des Hundezentrums Mosel Dogs, Schweich. Sie arbeitet seit 2009 hauptberuflich mit Menschen und deren Hunden. r.n. Sie und ihr Team vermitteln Hundehaltern den Weg eine stabile Bindung, gute Beziehung und erfolgreiche Erziehung auf sichere Stützpfeiler zu stellen. An die Hundeschule angeschlossen ist eine Pension und Tagesstätte, die in Gruppenhaltung Hunde betreut. Und ein Weiterbildungszentrum das Hundehalter und Interessierte dazu einlädt, ihr Wissen rund um den Hund auszubauen. Die Hundeschule umfasst Gruppen- und Einzelunterricht, vom Welpen bis zum Senior, diverse Hundesportarten, Kind-Hund-Gruppen und spezielle Angebote für schwierige Hunde. Hintergrund zum Thema:

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