"Ich bin enttäuscht von Ihnen, Herr Bischof"

Trier · Der Trierer Bischof Stephan Ackermann hat gestern Abend mit 250 Gläubigen über Fehler bei der Aufarbeitung eines zuletzt bekannt gewordenen Missbrauchsfalls diskutiert. Wie die Kirche mit den Tätern verfährt, ist noch unklar.

 Diskutieren mit Gläubigen über das Thema Missbrauch: Bischof Stephan Ackermann (links) und Generalvikar Georg Holkenbrink. TV-Foto: Friedemann Vetter

Diskutieren mit Gläubigen über das Thema Missbrauch: Bischof Stephan Ackermann (links) und Generalvikar Georg Holkenbrink. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Seit knapp zwei Jahren ist Stephan Ackermann Missbrauchsbeauftragter der katholischen Kirche. Dass dies kein einfacher Job ist, hat der Trierer Bischof erst in den vergangenen Wochen wieder erfahren. Es muss den 48-Jährigen wurmen, dass ausgerechnet in seinem Heimatbistum Vertuschungsvorwürfe erhoben werden. Und dass die Argumente, die der Bischof und sein Generalvikar dagegen ins Feld führen können, denkbar dünn sind.
Was Ackermann in der Sache ehrt, und das bescheinigen dem Trierer Kirchenmann selbst die meisten Skeptiker: Der Bischof räumt Fehler ein und stellt sich der Kritik. Die kommt gestern Abend bei einer Diskussionsveranstaltung im Trierer Generalvikariat phasenweise ziemlich dick.
"Wie ist so etwas möglich?", will etwa eine Gymnasiallehrerin aus Saarbrücken über die monatelang vertuschten Missbrauchsvorwürfe gegen einen saarländischen Priester von Stephan Ackermann wissen - und schiebt den Satz hinterher: "Ich bin enttäuscht von Ihnen als Bischof."
So viel Deutlichkeit vor 250 Zuhörern muss auch ein diskussionserprobter Stephan Ackermann erst einmal verdauen können. Es sind nicht die einzigen klaren Worte, die sich der Trierer Bischof und sein Generalvikar Georg Holkenbrink an diesem Abend anhören müssen. "Können Sie sich vorstellen, dass ein Opfer zusätzlich traumatisiert wird, wenn der Täter nicht direkt suspendiert wird?", will etwa eine saarländische Pastoralreferentin von Ackermann und Holkenbrink wissen.
"Hat die Bistumsleitung begriffen, dass Verschweigen nur den Tätern in die Hände spielt?", fragt ein Kollege.
Apropos Täter, sagt ein anderer, was passiert eigentlich mit den katholischen Priestern, deren Übergriffe strafrechtlich verjährt sind? "Die Frage ist letztendlich noch nicht gelöst", antwortet der Trierer Bischof.
Stephan Ackermann fordert zwar "Nulltoleranz gegenüber den Verbrechen", schränkt aber ein, man könne nicht gleichzeitig die Täter einfach zu Unmenschen erklären: "Machen wir noch ein Gefängnis wie Guantánamo für die Täter auf? Das kann doch nicht die Lösung sein."
Was für viele Gläubige jedenfalls auch nicht die Lösung ist: Dass ein mit verjährten Missbrauchsvorwürfen konfrontierter Priester an der einen Stelle abgezogen wird und kurze Zeit später an anderer Stelle wieder auftaucht, wie vor einiger Zeit im Bistum geschehen.
"Wenn wir auf der einen Seite wiederverheiratete Geschiedene von den Sakramenten ausschließen, kann es doch nicht sein, dass Verbrecher Sakramente spenden dürfen", echauffiert sich gestern Abend eine rheinland-pfälzische Pastoralreferentin unter Bezug auf einen konkreten Fall.
Der Trierer Bischof hat zu Beginn des gestrigen Gesprächs von einem Experiment und einem Wagnis gesprochen. Was Stephan Ackermann mitgenommen haben dürfte: Die meisten Anwesenden trauen dem kirchlichen Missbrauchsbeauftragten nach wie vor zu, dass er ehrlich um Aufklärung bemüht ist und die Kritik ernst nimmt.
Das ist als Ergebnis einer solchen Diskussion wie der gestrigen nicht wenig.Extra

Im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche haben bislang rund 950 Opfer eine Entschädigung beantragt. Das hat eine Sprecherin der Deutschen Bischofskonferenz gestern in Bonn mitgeteilt. Etwa 930 Anträge habe die Zentrale Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz bereits bearbeitet. In mehr als 90 Prozent der Fälle sei eine Geldzahlung empfohlen worden, die über die jeweiligen Bistümer oder Orden erfolge. Die katholische Kirche hatte im März 2011 angeboten, Opfern sexuellen Missbrauchs bis zu 5000 Euro Entschädigung zu zahlen. Besonders viele Anträge seien anfangs eingegangen, sagte die Sprecherin. Seit mehreren Monaten sei die Zahl rückläufig. Im Großteil der Fälle seien Summen bis zu 5000 Euro empfohlen worden. In Härtefällen sei der Betrag aber auch überschritten worden. Im Bistum Trier sind bislang 42 Opfer sexueller Übergriffe finanziell entschädigt worden. Die Bischofskonferenz hatte den Trierer Bischof Stephan Ackermann im Februar 2010 mit der bundesweiten Aufarbeitung des Skandals betraut. dpa

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