Immer am Limit: Politische Alphatiere hören nicht auf
Berlin · Politik ist wie eine Droge. Sie wirkt auch dann noch, wenn der Ernstfall eintritt: Krankheit. Jüngstes Beispiel ist Matthias Platzeck, Ministerpräsident von Brandenburg. Er denkt nicht ans Aufhören - und ist damit in bester Gesellschaft.
Berlin. Immer wieder hat der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen gehabt, musste deshalb sogar 2006 als SPD-Chef zurücktreten. Jetzt haben ihm die Ärzte einen leichten Schlaganfall attestiert. An ausgiebige Schonung, gar ans Aufhören denkt Platzeck offenbar nicht. Politische Alphatiere gehen gerne ans Limit.
Die Konkurrenz schläft nicht. Das ist jedem Politiker bewusst, wenn er erkrankt. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ist mit Sicherheit kein Gegner Platzecks. Dennoch mussten die Genossen gestern ein gestreutes Gerücht wieder einfangen - Steinmeier, der seinen Wahlkreis in Brandenburg hat, werde Platzeck womöglich nachfolgen. "Bullshit", hieß es drastisch aus der SPD. Doch damit ist genau das entbrannt, was erkrankte Politiker so fürchten: Die Debatte über ihre Nachfolge. Deswegen werden Krankheiten lieber verschwiegen oder verharmlost. Dass man seine Rivalen allerdings auch aussitzen kann, hat Helmut Kohl bewiesen. Beim Bremer CDU-Putschparteitag 1989 verließ der damalige Kanzler einfach nicht das Podium, obwohl die Prostata-Geschwulst höllisch schmerzte. In seinen Memoiren beschreibt Kohl, wie er gegen seinen Körper ankämpfte. Er wollte nicht den Eindruck hinterlassen, er kneife vor den Putschisten. Am Ende kniffen Kohls Gegner.
Fakt ist: Ernsthafte Krankheiten sind unter Spitzenpolitikern oft ein Tabu. Viele quälen sich allerdings auch deshalb weiter, weil sie sich für unverzichtbar halten. Wolfgang Bosbach , CDU-Innenexperte und immer erreichbar, hat kürzlich das Tabu gebrochen, ebenso Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff . Der eine sprach freimütig über seine unheilbare Krebserkrankung, der andere über seine Alkoholabhängigkeit. Schockenhoff beichtete seine Sucht allerdings erst, als er von der Polizei mit 1,1 Promille am Steuer erwischt wurde. Die Fähigkeit, eigene Probleme auch anzuerkennen, ist bei vielen Politikern nicht sonderlich ausgeprägt.
Außerdem leben sie oft ungesund. Sportler findet man nicht so häufig unter der Politprominenz. Und das bei einem Job, der entgegen vieler Vorurteile extrem kräfteraubend ist. Immer am Limit, immer im Stress. Horst Seehofer ignorierte 2002 die Signale des eigenen Körpers und fand sich auf der Intensivstation wieder. Über mehrere Wochen hatte er eine Herzmuskelentzündung verschleppt. Lange fern blieb Seehofer der Politik freilich nicht, inzwischen ist er sogar CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident. Von der Politik lassen konnte auch Gregor Gysi nicht - im November 2004 musste er sich wegen einer Gefäßerweiterung einem schweren Hirneingriff unterziehen. Am Tag vor der Operation gab er ein Interview, sechs Wochen danach ließ er sich zu seiner Genesung befragen. Zwar zog sich der Linksfraktionschef damals für einige Zeit aus der ersten politischen Reihe zurück, doch schon 2005 trat er wieder als Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf an. Außerdem soll er zwei Herzinfarkte hinter sich haben. Politik als Droge. Gysis enger Freund Oskar Lafontaine hielt es etwas anders: 2009 teilt er nur kurz mit, er habe Krebs und werde operiert. Erst lange Zeit danach sprach Lafontaine in einem Interview über seine Krankheit und gab dabei seltene Einblicke in das Seelenleben eines Politikers. Peter Struck hingegen hätte das wohl nicht gemacht: Der früherer SPD-Fraktionschef und ehemalige Verteidigungsminister überstand zwei Herzinfarkte und eine Operation an der Halsschlagader. 2004 erlitt er dann einen Schlaganfall, aber darüber durfte nicht geredet werden. Aus Angst, angreifbar zu werden. Schon neun Wochen später kehrte der kantige Genosse zurück an den Schreibtisch. Letztes Jahr starb Struck mit 69 Jahren an einem schweren Herzinfarkt.