In der Region legen Hunderte von Erziehern ihre Arbeit nieder - Kundgebung in Trier

Trier · Harte Zeiten für Eltern von kleinen Kindern: Die Gewerkschaften haben die Erzieher an kommunalen Kitas teilweise zu unbefristeten Streiks aufgerufen. In der Region werden am Dienstag einige Einrichtungen geschlossen bleiben.

Trier. Für Stefan Sell sind die Erzieher an kommunalen Kitas so etwas wie die Müllmänner. Nicht etwa, dass der Koblenzer Bildungsexperte und Arbeitsmarktforscher die beiden Berufsgruppen miteinander vergleicht oder gegeneinander ausspielt. Sell sieht in den Erziehern eine Speerspitze zukünftiger Arbeitskämpfe, wie einst die Müllmänner, die mit tagelangen Streiks dafür sorgten, dass sich in den Straßen die Müllberge türmten und sich die breite Öffentlichkeit mehr oder weniger freiwillig mit dem Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst beschäftigte.

Ähnliche Wirkung könnte der unbefristete Streik der Erzieher und die damit einhergehende Schließung von Kitas auch haben. Eine solche Arbeitskampfmaßnahme habe es in der bisherigen Geschichte im Bereich der pädagogischen Kita-Fachkräfte noch nicht gegeben, sagt Sell. Vielleicht auch, weil Erzieher von ihrer Motivation und ihrer beruflichen Einstellung bislang eher nicht als streiklustig galten.

Die Gewerkschaften Verdi sowie Erziehung und Wissenschaft (GEW) sehen jedoch in der hohen Streikbereitschaft der Beschäftigten der kommunalen Kita ein Zeichen für den hohen Frust. Mit über 500 Teilnehmern rechnet GEW-Gewerkschaftssekretär Ingo Klein bei der Kundgebung auf dem Trierer Kornmarkt am Dienstag. Weitere Kundgebungen sollen in Speyer, Koblenz und Ingelheim stattfinden. Bereits am Montag legten rund 2500 Erzieher im Land ihre Arbeit nieder.

Alle über 100 kommunalen Kitas in der Region seien am Dienstag zum Streik aufgerufen, kündigt Klein an. Ob diese dann auch komplett geschlossen seien oder nur einzelne Gruppen, konnte der Gewerkschaftssekretär aber nicht sagen. Alle betroffenen Eltern seien aber rechzeitig informiert worden. Die Kommunen rechnen jedoch mit erheblichenEinschränkungen bei der Kita-Betreuung

So sind in Trier alle vier kommunalen Kitas betroffen, insgesamt über 300 Kinder. In Wittlich bleiben wohl drei von vier kommunalen Kitas zu. In einer, im Ortsteil Lüxem, wird nach Auskunft eines Stadtsprechers eine Notbetreuung angeboten. Auch in Bitburg bleiben heute zwei kommunale Kitas geschlossen. Einige der Kitas in der Region bleiben laut Klein wohl auch länger als nur einen Tag zu. Die Erzieher dort würden wie an anderen Orten im Land in einen unbefristeten Streik treten.

Die Kommunen sind zurückhaltend, was die konkreten Auswirkungen der Forderungen der Gewerkschaften angeht. Die Erzieher verlangen eine um vier Gehaltsstufen höhere Eingruppierung. Statt 2367 Euro Anfangsgehalt sollen künftig 2590 Euro gezahlt werden. Die Anforderungen an den Beruf seien gestiegen, begründen die Gewerkschaften die Forderung.

Die kommunalen Arbeitgeber lehnen nicht grundsätzlich ab, Erziehern mehr Geld zu zahlen. Aber nur dann, wenn sie besondere Aufgaben erfüllen, etwa in Kindergärten, in denen Behinderte und Nichtbehinderte betreut werden. Bis zu 443 Euro mehr könnten dadurch drin sein, argumentiert der Verband der kommunalen Arbeitgeber. Eine generelle Gehaltserhöhung wie von den Gewerkschaften gefordert, lehnt der Verband ab.

Allein für die rheinland-pfälzischen Kommunen würden die Tarifforderungen Mehrausgaben von bis zu 250 Millionen Euro ausmachen, sagt Klaus Beckerle, Geschäftsführer des Verbandes der kommunalen Arbeitgeber Rheinland-Pfalz. Und das vor dem Hintergrund, dass die Ausgaben der Kommunen für die Kindertagesstätten in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen seien, laut Beckerle seit 2004 um 67 Prozent.

Bildungsexperte Sell, der bei der Gewerkschaftskundgebung am Dienstag in Koblenz reden wird, hat Verständnis für die Nöte der Kommunen. Daher plädiert er für eine Reform der Kita-Finanzierung. Die Kommunen müssten deutlich von der Regelfinanzierung entlastet werden und der Bund sich stärker daran beteiligen. Und zwar in Form eines Fonds, in den der Bund dann pro Kopf der betreuten Kinder einen Pauschalbetrag zahlen soll, der dann an die Bundesländer und von dort an die Träger überwiesen werden soll.Extra

Viele Kitas in der Region sind in kirchlicher Trägerschaft. Die Erzieher dort beteiligen sich nicht an dem Arbeitskampf. Die Gewerkschaftsforderungen beziehen sich zunächst nur auf die Kita in kommunaler Trägerschaft. Das Gehalt von Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen wird in der Regel im sogenannten Dritten Weg bestimmt, in Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitervertretungen, also ohne Gewerkschaftsbeteiligung. Bislang orientierten sich die Gehälter der kirchlichen Beschäftigten etwa in Kitas immer an denen des öffentlichen Dienstes. Dort erreichte Tariferhöhungen wurden in der Regel mit zeitlicher Verzögerung mehr oder weniger übernommen. Das Land beteiligt sich an allen Kindergärten, ob kommunale oder auch kirchliche, mit rund einem Drittel an den Personalkosten. Auch die örtlichen Jugendämter bezuschussen das Personal in den jeweiligen Kitas unabhängig vom Träger. Das Land hat allein 2013 rund 436 Millionen Euro für Personalkostenzuschüsse ausgegeben. wieExtra: So verhalten sich Eltern

In zahlreichen Kitas streiken bundesweit die Erzieherinnen und Erzieher. Viele Eltern bringt das ins Rotieren, denn sie stehen vor verschlossenen Türen. Sie müssen alternative Betreuungsmöglichkeiten für ihren Nachwuchs finden - oder im Ernstfall zu Hause bleiben.

Was Eltern jetzt wissen müssen:
Chef informieren: Wenn klar ist, dass die Kita bestreikt wird und auch niemand anders auf das Kind aufpassen kann, sollten Eltern sich möglichst schnell bei ihrem Chef melden. Darauf weist der Arbeitsrechtler Andreas von Medem aus Stuttgart hin. In diesem Fall dürfen sie bei der Arbeit fehlen, mit einer Kündigung oder Abmahnung müssen sie nicht rechnen.
Kind mit ins Büro nehmen: Ob berufstätige Eltern ihr Kind mit an den Arbeitsplatz nehmen dürfen, hängt vom Betrieb ab. Einfach mit dem Nachwuchs morgens am Schreibtisch aufzutauchen, ist keine gute Idee. In jedem Fall müssen Beschäftigte so etwas vorher mit ihrem Chef absprechen, rät Ulrich Kanders, Geschäftsführer und Arbeitsrechtler beim Essener Unternehmensverband (EUV).
Alternativen: Ausloten können Arbeitnehmer, ob sie sich für den Zeitraum des Streiks unbezahlt freistellen lassen können. Auch Home-Office oder der Abbau von Überstunden sind möglich. Anspruch auf eine Sonderbehandlung haben Arbeitnehmer dabei aber nicht. Es liegt laut dem EUV im Ermessen des Arbeitgebers, ob er dem zustimmt oder nicht.
Kita-Gebühren: Die Kita ist geschlossen, dann kann ich doch die Gebühren zurückfordern? Das ist meist nicht der Fall. "Zumindest haben Eltern keinen Rechtsanspruch darauf", sagt Ronald Richter, Rechtsanwalt in Hamburg. Allenfalls können Eltern auf die Kulanz ihrer Kommune hoffen. dpaExtra: Arbeitgeber

Im Zuge des unbefristeten Kita-Streiks entlasten mehrere Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz ihre Mitarbeiter bei der Unterbringung der Kinder: "Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen zugestanden bekommen", sagte Elena Wassmann, Sprecherin der Hochschule Ludwigshafen am Montag. Zur Betreuung seien zwei Eltern-Kind-Zimmer mit Spielzeug eingerichtet worden. Nach Absprache bestehe zudem die Möglichkeit, den Arbeitsplatz nach Hause zu verlegen. Der weltgrößte Chemiekonzern BASF bietet seinen Mitarbeitern nach eigenen Angaben eine Notfallversorgung an. Das Projekt "Lukids ad hoc" habe aber bereits vor den Streiks gegolten, sagte eine Sprecherin - und zwar für alle Mitarbeiter, bei denen ungeplant die Betreuung ausfällt. Platz sei für maximal 15 Kinder im Alter von sechs Monaten bis elf Jahren, die Plätze seien alle belegt. In der BASF-Betriebskrippe "Lukids" wird nicht gestreikt. Etwa 450 Kinder im Alter von sechs Monaten bis drei Jahren sind dort untergebracht. Beim Spezialglashersteller Schott in Mainz gehen rund 90 Kinder in die Betriebskita - sie wird ebenfalls nicht bestreikt. Allgemein erwartet auch die Industrie- und Handelskammer Pfalz ein Entgegenkommen der Firmen. "Ich vermute mal, dass die Arbeitgeber insgesamt flexibel sind, weil es für Eltern eine sehr schwierige Situation ist", sagt die Sprecherin der IHK Pfalz, Sabine Fuchs-Hilbrich. Wie viele es sind, seien aber nicht bekannt. dpa

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