Innenminister sehen derzeit keine akute Bedrohung trotz “sehr ernster Lage” – Keine Hinweise, dass Terroristen unter Flüchtlingen sind

Mainz · Am Tag nach dem abgesagten Fußballländerspiel geht es in Mainz fast ausschließlich nur um das Thema Terrorismus. Rein zufällig findet nämlich seit gestern auch die Hebsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) in der Landeshauptstadt mit 600 Sicherheitsexperten statt.

Es kommt nicht allzu oft vor, dass der rheinland-pfälzische Innenminister eine Pressekonferenz im Lagezentrum im dritten Stock seines Hauses abhält. Dort wo rund um die Uhr die Sicherheits- und Katastrophenlage des Landes, aber auch in Deutschland und den Nachbarländern von Polizeiexperten beobachtet und bewertet wird. Gestern hat Roger Lewentz, der zugleich auch Vorsitzender der Innenministerkonferenz ist, der Presse kurzfristig einen Einblick in diesen sonst nur schwer zugänglichen Raum gegeben. Vermutlich um zu demonstrieren, wir haben die Lage im Griff und alles im Blick. Dort vor den Uniformierten, die ständig alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen auf Bildschirmen auswerten, sprach Lewentz von einer "realen Gefahr", die am Dienstagabend vor der Absage des Fußballländerspiels in Hannover bestanden habe. Am Morgen nach der "sehr schweren Entscheidung" habe er in einer Telefonkonferenz mit seinen Innenminister-Kollegen und dem Bundesinnenminister die Lage bewertet. Ergebnis: Die Bedrohung in Hannover sei "sehr isoliert" gewesen, es gebe keine Hinweise auf einen akut bevorstehenden Terroranschlag in Rheinland-Pfalz und Deutschland.

Eine Aussage, die man an diesem Tag in Mainz immer wieder hört. Denn dort findet seit gestern die schon lange vor den Anschlägen von Paris geplante Hebsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) im Kurfürstlichen Schloss mit 600 Experten statt. Und sowohl BKA-Chef Holger Münch als auch der in Mainz anwesende Bundesinnenminister Lothar de Maizère betonen ebenfalls, dass es derzeit keine Hinweise auf weitere konkrete Anschlagspläne in Deutschland. Allerdings sprechen Lewentz als auch Münch und de Maizière übereinstimmend von einer ernsten Bedrohungslage. "Die Bedrohungslage für Europa und auch für Deutschland ist ernst - wirklich ernst", sagt der Bundesinnenminister. Und Münch betont, Europa stehe im Fadenkreuz des islamistischen Terrors. Die rheinland-pfälzische Polizei sei weiter in erhöhter Alarmbereitschaft, sagt Lewentz. Doch das normale Leben solle und müsse weiter gehen, ist die Botschaft, die alle Sicherheitsexperten an diesem Tag vermitteln. Als Beispiele für das normale Leben werden von allen die anstehenden Weihnachtsmärkte genannt. Die Leute sollen ruhig auf die Märkte gehen, sagen Lewentz und de Maizière unabhängig voneinander. Das Land werde die Sicherheitslage für alle großen Weihnachtsmärkte in Rheinland-Pfalz bewerten, wiederholte Lewentz eine Aussage von Montag. Derzeit gebe es aber eben keinen Hinweis, dass ein Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt geplant sei, betont der rheinland-pfälzische Innenminister.

Auch für die anstehenden Bundesliga-Spiele sieht er keine besondere Gefahr. Die Polizei werde bei den Heimspielen von Mainz und Kaiserslautern wie immer präsent sein. Und natürlich darf in Mainz der Hinweis auch nicht fehlen, dass Karnevalsumzüge nach derzeitiger Lage nicht gefährdet sind. Anfang des Jahres ist im niedersächsischen Braunschweig ein Karnevalsumzug wegen angeblicher Terrorwarnung abgesagt worden. Die Menschen sollten weiter zu Konzerten gehen, in Fußballstadien und eben zu Weihnachtsmärkten, sagt ein paar Stunden später auch de Maizière im Kurfürstlichen Schloss, dort, wo jedes Jahr die Fernsehfastnacht Mainz bleibt, Mainz stattfindet. "Und wir sollten sie dazu ermuntern, dorthin zu gehen".

Die Sicherheitsbehörden seien wachsam, sagt Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Nachmittag in der Staatskanzlei. Die Lage werde mit "großer Sorgfalt" beobachtet. Zwei Stunden später betont der Bundesinnenminister, "einen absoluten Schutz und hundertprozentige Sicherheit wird es in unserer offenen, pluralistischen Gesellschaft nie geben". Und genau das sei auch die Botschaft der Täter von Paris gewesen, sagt BKA-Chef Münch: "Niemand soll sich sicher fühlen.". Er warnt davor, nach den Anschlägen, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Es gebe bisher keine Hinweise, dass Terroristen gezielt nach Deutschland eingeschleust worden seien. Zwar habe es über 120 entsprechende Hinweise von Flüchtlingen oder ausländischen Diensten gegeben - die meisten hätten sich jedoch als falsch herausgestellt. Allerdings versuchen laut Münch, Islamisten Flüchtlinge in Aufnahmeeinrichtungen für sich zu gewinnen. 60 solcher Anwerbeversuche seien bekannt. Auch Dreyer warnt eindringlich davor, die Terrordebatte mit der über die Flüchtlinge zu verknüpfen. "Ich kann nur noch einmal wiederholen: Die meisten Flüchtlinge fliehen genau vor solchen Menschen, wie den Attentätern von Paris", so die Ministerpräsidentin.

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