Klimawandel Ist die krasse Dürre jetzt der Normalzustand?

Interview | Trier/Leipzig · Nein, sagt Andreas Marx, der den Dürremonitor Deutschland leitet. So ein Extremereignis gehe irgendwann wieder vorbei. Allerdings haben ihn die wiederholten Trockenjahre und das katastrophale Hochwasser 2021 überrascht. Welche Anpassungen nötig sind.

 Am Ufer des Rheins sind durch die anhaltende Trockenheit tiefe Risse entstanden.

Am Ufer des Rheins sind durch die anhaltende Trockenheit tiefe Risse entstanden.

Foto: dpa/Martin Gerten

Täglich stellt Andreas Marx der deutschen Öffentlichkeit neue Karten zur Verfügung. Und fast täglich sind diese Karten tiefrot. Zeugnisse eines Extremereignisses, mit dem Marx in Deutschland niemals gerechnet hätte – jedenfalls nicht vor 2040: extreme, ja sogar außergewöhnliche Dürre – über Jahre hinweg.

Der in Perl an der Mosel geborene Wissenschaftler, der in Trier studiert hat, leitet das mitteldeutsche Klimabüro des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung. Und er aktualisiert täglich den Dürremonitor Deutschland. Seine Karten zeigen Landwirten, Förstern oder Wasserversorgern, wie der Bodenfeuchtezustand in Deutschland und den einzelnen Bundesländern ist. Wobei von „Feuchte“ zuletzt keine Rede sein konnte.
Unsere Redakteurin Katharina de Mos hat mit ihm darüber gesprochen, wie es dazu kommt, ob das jetzt der Normalzustand ist und ob Deutschland das neue Südfrankreich wird.

Herr Marx, der Blick auf den Dürremonitor für die Region Trier zeigt seit Wochen vor allem knallrote und tiefrote Farben. Extreme und außergewöhnliche Dürre. Was bedeutet das genau?

Dr. Andreas Marx Außergewöhnliche Dürre bedeutet, dass es aktuell so trocken ist, wie man es statistisch nur alle 50 Jahre erwarten würde. Extreme Dürre heißt, dass es so trocken ist wie nur alle 20 Jahre.

 Der Dürremonitor Deutschland:  Er zeigt Landwirten, Förstern oder Wasserversorgern, wie der Bodenfeuchtezustand in Deutschland und den einzelnen Bundesländern ist.

Der Dürremonitor Deutschland:  Er zeigt Landwirten, Förstern oder Wasserversorgern, wie der Bodenfeuchtezustand in Deutschland und den einzelnen Bundesländern ist.

Foto: TV/Helmholtz Zentrum für Umweltforschung/Dürremonitor

Zwischendurch hat es mal etwas geregnet ...

Marx Das heißt aber leider nicht, dass die Dürre vorbei ist, da die Böden bis in zwei Meter Tiefe ausgetrocknet sind.

Oje, was bräuchte es denn, damit alles wieder normal ist?

Dr. Andreas Marx ist Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros  des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung und verantwortlich für den Dürremonitor Deutschland. Foto: Sebastian Wiedling

Dr. Andreas Marx ist Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung und verantwortlich für den Dürremonitor Deutschland. Foto: Sebastian Wiedling

Foto: Sebastian Wiedling/SEBASTIAN WIEDLING

 Marx Dafür bräuchte man ein halbes Jahr mit überdurchschnittlichem Niederschlag ohne Hitzewelle. Da kann man nur auf den Winter hoffen.

Was bereitet Ihnen beim Blick auf Ihre roten Karten die meisten Sorgen?

 Marx Für mich persönlich ist es schwierig, das als Wissenschaftler einzuordnen. Wenn man mir im März 2018 gesagt hätte, dass wir im August 2022 auf vier Dürrejahre zurückblicken – hier in Deutschland – dann hätte ich das nicht geglaubt. Das ist ein Ereignis, das sehr außergewöhnlich ist und sehr große Schäden verursacht hat. Man denke an die Binnenschifffahrt und die Energieerzeugung. Kraftwerke wurden wegen der niedrigen Wasserstände gedrosselt. Es gab große Schäden in der Landwirtschaft. Gerade für kleine Betriebe, die mehrere Jahre hintereinander unterdurchschnittliche Erträge hatten, ist die Lage schlimm. Und dann das Waldsterben. Mehr als 500.000 Hektar Wald sind seit 2018 in Deutschland verloren gegangen. Das ist zweimal die Fläche des Saarlandes. Die Dürre hat ganz neue Dimensionen, und es ist unklar, wann dieses Extremereignis zu Ende geht.

Aber 2021 hat es doch recht viel geregnet.

 Marx Stimmt, von Januar bis Juni 2021 hatte sich die Dürre auch im tieferen Boden weitgehend aufgelöst, aber dieser Effekt hat leider nicht angehalten. Jetzt sind wir wieder in einer Dürre, die ähnlich stark ist wie 2018.

Ich fahre jeden Morgen in Leipzig an einem kleinen abflusslosen Teich vorbei. 2018 und 2019 hatte der schon schlimm ausgesehen. Heute Morgen war fast kein Wasser mehr drin.

Ich muss mir selber immer wieder sagen: Das ist ein Extremereignis, und es geht vorbei.

Schreitet der Klimawandel schneller voran, als Sie erwartet hätten?

Marx Ja, aber nicht nur, wenn es um Trockenheit geht. Mit so vielen Dürrejahren in Folge hätte ich nie gerechnet. Genauso kenne ich keinen Kollegen, der erwartet hätte, dass es in Deutschland ein Hochwasser geben könnte, bei dem mehr als 100 Menschen sterben. Wir haben vollkommen neue Ereignisse, mit denen man im Klimawandel auch rechnen musste. Aber nicht viele Wissenschaftler hätten gesagt, dass das vor 2040 passiert.

Die Klimawissenschaft hat unterschätzt, dass die Wettermuster stabiler werden.

Wie kommt es, dass das Wetter plötzlich stabiler ist?

 Marx Das Wetter bei uns wird maßgeblich geprägt von den Druckunterschieden zwischen Nordpol und Äquator. Dieser Druckunterschied hat abgenommen, weil der Nordpol sich wesentlich schneller erwärmt. Das Resultat ist, dass das Wetter nicht so schnell von Westen nach Osten über uns drüberzieht, wie es das in der Vergangenheit getan hat.
Der Jetstream bricht immer stärker mäandrierend nach Norden und Süden aus. Das Wetter wandert langsamer. Und langsam kann bedeuten, dass man Situationen erlebt wie im Ahrtal. Es kann aber auch sein, dass es längere Zeit heiß und trocken bleibt. Die Extreme verstärken sich an beiden Enden.

Wie außergewöhnlich ist die aktuelle Situation?

 Marx Der Dürremonitor schaut zurück bis 1951. Ab diesem Zeitpunkt gab es nach dem Zweiten Weltkrieg flächendeckend meteorologische Messungen. Seit 1951 hatten wir natürlich auch trockene Jahre, zum Beispiel 1976.

Seit 2018 haben wir aber mehrere Dürrejahre in Folge erlebt. So etwas gab seit dem Zweiten Weltkrieg ansonsten nicht. Kollegen von mir haben Daten, die bis 1767 zurückreichen, analysiert und gezeigt, dass es eine Trockenheit wie die von 2018 bis 2020 für Mitteleuropa im letzten Vierteljahrtausend nicht gab.

Das zeigt das Ausmaß, und es zeigt auch, warum es zu Fehlinterpretationen kommt.

Was für Fehlinterpretationen?

 Marx Viele gehen davon aus, dass das jetzt der neue Normalzustand ist. Ich nehme das auch niemandem übel. Wir haben in den vergangenen Jahren einfach ganz viele neue Sachen erlebt. 2018 war das erste Jahr, dass wir in städtischen Parkanlagen verdorrte braune Wiesen hatten. Das gab es vorher nicht. Wissenschaftlich gibt es aber keinen Anlass, davon auszugehen, dass das das neue Normal ist.

Eine Dürre ist ein Extremereignis. Und ein Extremereignis geht irgendwann vorbei. Das ist die gute Nachricht.

Aber die Wissenschaft rechnet doch damit, dass es im Sommer heißer und trockener wird, oder?

 Marx Wenn wir uns Klimasimulationen für Deutschland anschauen, dann sieht man, dass wir in Zukunft größere Probleme mit Hitze haben werden. Es wird mehr Sommertage geben, die wärmer als 25 Grad sind.

Müssen wir uns auch auf akuten Wassermangel vorbereiten?

 Marx  In Deutschland werden die Niederschläge nicht abnehmen. Mit zunehmender Erwärmung nehmen sie sogar leicht zu. Vor allem im Winterhalbjahr. Das Winterhalbjahr ist gleichzeitig der Zeitraum, in dem das Wasser eher in den Boden gelangt. Im Sommerhalbjahr saugt ja die Vegetation über die Wurzeln Wasser aus dem Boden. Durch die hohen Temperaturen gibt es außerdem hohe Verdunstungsverluste. Das sind Effekte, die man im Winter nicht hat.

Allerdings steigt der Wasserbedarf insgesamt bei steigenden Temperaturen. Das Mehr an Regen, das im Winter fällt, werden wir deshalb im Sommer brauchen. Wir müssen technische Lösungen nutzen, damit das Wasser dann verfügbar ist. Zum Glück ist das Problem lösbar. Anpassung ist möglich.

Wie können wir uns denn anpassen?

 Marx Es gibt viele Möglichkeiten, wie man Wasser speichern kann. Für die Landwirtschaft kann man es lokal in Becken auffangen, um Felder zu bewässern. Auch Grundwasseranreicherung wird in vielen Orten Deutschlands schon seit fast 100 Jahren gemacht: Im Winterhalbjahr pumpt man dafür Wasser aus Flüssen und Bächen einige Kilometer weit weg und lässt es kontrolliert versickern. So führt man dem Grundwasser zusätzliches Wasser zu. Die Flüsse dürfen natürlich nicht dreckig sein, man will ja keine Schadstoffe einleiten. Bei den Talsperren ändert sich zum Beispiel das Management. Im Frühjahr wurden sie oft abgelassen, um Hochwasserstauraum für die Schneeschmelze freizumachen. Das ergibt aber nur Sinn, wenn auch Schnee liegt. In den meisten Talsperren gibt es jetzt ein dynamisches Management und man verfolgt genau, wie viel Zufluss zu erwarten ist. So hat man mehr Wasser zur Verfügung.

Was muss sich in der Landwirtschaft ändern?

 Marx  Es gibt sehr viele Methoden, mit wenig Wasser zu wirtschaften. Wenn ich weniger tief pflüge, bringe ich weniger feuchten Boden an die Oberfläche und verringere die Verdunstung. Man kann Flächen mit Ernterückständen mulchen. Das hat den Effelkt, das Wasser dann auf der Oberfläche stehenbleibt und versickert, statt wegzulaufen. Man hat die Möglichkeit, Bewässerungsinfrastruktur zu bauen. Aktuell wäre es allerdings keine gute Idee, Grundwasser zu nutzen, um Felder zu bewässern, weil der Wasserstand so noch weiter sinken würde. Man würde das Wasser also jemand anderem wegnehmen. Das könnte ein benachbartes Feuchtgebiet sein oder ein Wald. Wasserentnahme muss reguliert werden, sonst kommt es zu größeren Konflikten.

Wird Deutschland das neue Frankreich oder sogar das neue Spanien?

 Marx Nein. Der große Unterschied zu Südfrankreich oder Spanien ist nicht nur, dass die Temperaturen dort konstant sehr viel höher sind. Es gibt dort kaum oder keinen Frost. Auch wenn Hitze und Trockenheit hier zum Problem werden, werden wir weiter Schnee und Frost haben. Das hat einen großen Einfluss auf die Vegetation. Unsere Pflanzen sind winterhart, Pflanzen aus dem Mittelmeerraum nicht. Das macht es ja auch der Forstwirtschaft so schwierig. Man kann eben nicht einfach mediterrane Baumarten nehmen.

Frankreich brennt, und Spanien wirkt stellenweise schon jetzt wie eine Wüste. Wie wird sich die Lage am Mittelmeer entwickeln?

 Marx Im Mittelmeerraum gibt es viele Regionen, die heute schon mehr Wasser verbrauchen, als sie jährlich erneuern können. Das ist nicht nachhaltig. Der Mittelmeerraum wird mit steigenden Temperaturen zukünftig abnehmende Jahresniederschläge haben. Die Situation wird sich erheblich verschärfen. Ich weiß nicht, wie man in Spanien zur Mitte des Jahrhunderts noch Landwirtschaft betreiben möchte. Das ist eine andere Ausgangssituation als in Mitteleuropa.

Ich mag das Wort Klimakrise nicht, weil es suggeriert, dass wir in einer dauerhaften Krise leben. Die extreme Dürre, die wir aktuell in Deutschland erleben, wird vorübergehen. Aber für den Mittelmeerraum: Da kann man von einer Klimakrise sprechen.

Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden?

 Marx Wir sollten uns stärker damit beschäftigen, wie man Dürreereignisse managt. Man müsste in Behörden Schwellenwerte festlegen, die zeigen, wann eine Dürre anfängt. Um das zu bestimmen, könnte man eine Kombination nehmen aus Pegelständen, Niederschlagsmengen und Bodenfeuchte. Das Problem, das ich aktuell in Deutschland sehe: Wenn Wasserentnahmeverbote ausgesprochen werden, dann immer erst, wenn es schon zu spät ist. Wenn Bäche bereits trocken gefallen sind. Eigentlich sollte so etwas ja verhindert werden.

Und wir müssen das Klima schützen?

 Marx Ohne Klimaschutz wird es nicht gehen. Es ist leider so: Wir hatten das erste globale Klimaschutzabkommen 1997 mit dem Kyoto-Protokoll. Das war, vorsichtig ausgedrückt, mäßig erfolgreich. 2015 wurden die Ziele von Paris definiert. Leider ist es sehr unwahrscheinlich, das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. China will erst 2070 klimaneutral werden, was natürlich sehr spät ist. Mit großen Anstrengungen könnten wir das Zwei-Grad-Ziel noch erreichen und damit die Klimarisiken zumindest teilweise reduzieren. Das bedeutet aber auch, dass Extremereignisse und damit verbundene Schäden auf der globalen Skala sicher weiter zunehmen werden. Die Klimaanpassung ist daher neben dem Klimaschutz das Gebot der Stunde.

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