Geschlechtertrennung im Unterricht? Julia Klöckner: „Ich halte nichts davon, Experimente mit Kindern zu machen“

Mainz · Warum die rheinland-pfälzische CDU-Landeschefin es ablehnt, Geschlechter getrennt voneinander zu unterrichten, wo sie die Politik von Bildungsministerin Stefanie Hubig angreift und was ein Tischtennis-Idol ihrer Jugend mit dem Wunsch nach mehr Vorbildern zu tun hat.

  „Ich habe auch Jungs abschreiben lassen.“ Geht es nach CDU-Landeschefin Julia Klöckner, hilft schüchternen Mädchen kein Schutzraum.

„Ich habe auch Jungs abschreiben lassen.“ Geht es nach CDU-Landeschefin Julia Klöckner, hilft schüchternen Mädchen kein Schutzraum.

Foto: dpa/Gregor Fischer

(flor) Geschlechtertrennung im Unterricht – wenigstens vorübergehend? Nein, sagt die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner. Im Interview mit unserer Zeitung lehnt sie den Vorstoß von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) ab und bringt eigene Ideen hervor, mehr Mädchen für Physik, Chemie und Co. zu begeistern.

Frau Klöckner, Sie waren immer auf einer gemischten Schule mit Mädchen und Jungs. Hatten Sie trotzdem gute Noten in Mathe, Physik und Chemie?

Julia Klöckner: Ja. Ich habe auch Jungs abschreiben lassen. Das gehörte einfach zur Kollegialität dazu (lacht).

Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig hat vorgeschlagen, das Experiment zu wagen, Mädchen und Jungs in naturwissenschaftlichen Fächern phasenweise getrennt voneinander zu unterrichten. Was halten Sie davon?

Klöckner: Jedes Kind hat nur ein Schulleben. Deshalb halte ich erst mal nichts davon, mit Kindern Experimente zu machen. Mir sieht das eher nach einer Luftnummer aus.

Warum?

Klöckner: Wenn Frau Hubig ihren Vorschlag wirklich ernst meinen würde, hätte sie als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz auch direkt einen Vorstoß mit konkreten Vorschlägen gemacht. Da kam aber nichts. Sie selber weiß am besten, dass sie einen getrennten Unterricht in Rheinland-Pfalz gar nicht hinbekäme.

Aus welchem Grund?

Klöckner: Erstens hat Frau Hubig zu wenig Lehrer – insbesondere in den Mint-Fächern. Zweitens fehlt es an den nötigen Fachräumen. Drittens legt Rheinland-Pfalz schon jetzt Klassen zusammen und trickst in der Statistik, damit das nicht nach Unterrichtsausfall aussieht. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Bildungsministerin mit der Geschlechtertrennung vorschlägt, bei der es mehr Lehrer, Räume und Klassen braucht.

Frau Hubig begründet ihren Vorstoß damit, dass Jungs in Fächern wie Physik bei Experimenten nach vorne stürmen, während die Mädchen zurückhaltender sind. Studien zeigen, dass Mädchen in Naturwissenschaften oft geringeres Interesse zeigen als Jungs. Da kann man die Idee doch mal ausprobieren?

Klöckner: Theoretisch wäre getrennter Unterricht in den staatlichen Schulen jederzeit möglich. In der Realität wollen es die Schüler, Eltern und Lehrer aber nicht. Im Berufsleben und an der Universität müssen Männer und Frauen doch auch miteinander auskommen und können sich nicht aus dem Weg gehen. Wollen wir wirklich wieder ein verkrampftes Verhältnis der Geschlechter haben wie vor Jahrzehnten, als wir die getrennten Schulen weitgehend aufgehoben haben? Ich denke nicht. Abgesehen davon – die Klassen sind längst in vielerlei Hinsicht heterogen. Es gibt Kinder mit Migrationshintergrund, aus der Stadt, vom Land, aus sozial schwachen und starken Schichten. Und auch nicht jedes Mädchen ist automatisch zurückhaltend und jeder Junge stürmisch.

Wie lautet dann Ihr Vorschlag, um Mädchen mit schwachem Selbstvertrauen in Fächern wie Physik zu helfen und für naturwissenschaftliche Berufe zu begeistern?

Klöckner: Schülerinnen, denen es an Selbstvertrauen fehlt, brauchen jedenfalls keinen abgetrennten Schutzraum, um sich zu entwickeln. Wichtiger wäre es, zurückhaltenden Mädchen in Naturwissenschaften und auch zurückhaltenden Jungs in Sprachen mehr zu helfen, sie zu ermuntern, zu unterstützen, ein Auge auf sie zu haben. Wichtig ist vor allem, dass  wir noch mehr gute Fachlehrer ausbilden und nicht fachfremde Kräfte einsetzen, die Lücken stopfen müssen. Ich kann für Physik und Chemie nur begeistern, wenn ich es gelernt habe.

Wie soll es gelingen, mehr Fachlehrer in Naturwissenschaften und Technik an die Schulen zu locken?

Klöckner: Die meisten Lehrer arbeiten lieber in einem Land, das ihnen schnell eine sichere Planstelle bietet. Da bieten andere Bundesländer andere Möglichkeiten als Rheinland-Pfalz. Wenn die Landesregierung im Wettbewerb nicht bessere Bedingungen anbietet, wird der Mangel an Fachlehrern immer größer.

Aber die freie Wirtschaft bezahlt Naturwissenschaftler fulminant besser. Warum sollten sie in Schulen unterrichten?

Klöckner: Nicht jeder Mensch sieht Sinnhaftigkeit nur im Geld, sondern vielleicht auch darin, jungen Menschen etwas fürs Leben mitzugeben. Es kann doch Projektangebote geben, in denen Firmen freiwillige Mitarbeiter für zehn Stunden pro Woche an die Schulen schicken. Davon profitieren alle: Die Unternehmen, weil mehr Jugendliche begeistert werden, nach ihrem Schulabschluss Naturwissenschaften zu studieren und damit Fachkräfte für die Zukunft gewonnen werden. Und die Schülerinnen und Schüler, weil sie von echten Vorbildern lernen.

Mehr Vorbilder helfen also besser als Geschlechtertrennung?

Klöckner: Absolut. Für Mädchen könnte man beispielsweise Informatikerinnen oder Elektroingenieurinnen als Vorbilder in die Schulen reinholen, für Jungs bekannte Buchautoren in der Deutschstunde. Sie können den Kindern und Jugendlichen zeigen, wie „cool“ das ist und welchen Weg sie einschlagen können. Das beseitigt verstaubte Rollenbilder besser, als beide Geschlechter zu isolieren.

Jede Schule, die Kontakte hat, kann solche Vorbilder schon einladen. Wie können alle Schüler in Rheinland-Pfalz davon profitieren?

Klöckner: Warum soll es nicht einen Vorbilder-Pool geben, in dem Ansprechpartner für Schulen zusammengetragen werden? Den Impuls setzen und ein Budget zur Verfügung stellen muss aber die Landesregierung. Die Schulen sind ohnehin schon überlastet genug und haben alle Hände voll zu tun, um ihre tägliche Arbeit zu meistern.

Hatten Sie früher ein solches Vorbild, das Sie angetrieben hat?

Klöckner: Im Sport fand ich es immer faszinierend, wenn Frauen in klassischen Männerdisziplinen erfolgreich waren. Als ich Jugendliche war, hing das Poster von Olga Nemes in meinem Zimmer. Sie war eine tolle Tischtennis-Spielerin. In Guldental, wo ich aufgewachsen bin, habe ich auch Tischtennis gespielt, im Verein gab es aber nur Jungs. Ich habe mich dann mit einigen Freundinnen zusammengetan, wir bildeten die erste Damen-Tischtennismannschaft in Guldental! Und waren ziemlich gut (lacht).

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