Kämpfen wie Pippi Langstrumpf

Mainz · Früher war Eveline Lemke Fitnesstrainerin, und sie liebt noch immer den Dauerlauf. Heute ist sie Ministerin für Energie, Klimaschutz und Wirtschaft und braucht auch dafür einen langen Atem. Denn es regt sich Protest gegen die Grüne.

Mainz. Der Wandel von der schärfsten Kritikerin in der außerparlamentarischen Opposition zu einem bedeutenden Mitglied der Landesregierung - Eveline Lemke ist stellvertretende Ministerpräsidentin - vollzieht sich anscheinend nicht ganz ohne Mühe. Aus den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern kommt Kritik. Lemke sei eher eine Energie- denn eine Wirtschaftsministerin, heißt es zum Beispiel. Die 47-Jährige bleibt sich aber treu und will die Zweifler überzeugen, verrät sie im TV-Interview mit Redakteur Frank Giarra.Frau Lemke, ist Ihnen die Energiewende wichtiger als die Wirtschaftspolitik?Eveline Lemke: Überhaupt nicht! Wie kommen Sie darauf?Vertreter der Kammern im Land behaupten das.Lemke: Wenn das so sein sollte, irren sie sich. Ich habe mal nachschauen lassen: Mein Ministerium hat in den vergangenen Monaten 100 Presseberichte zur Wirtschaft im Land herausgegeben, nur 55 zur Energiewende. Und von fünf Terminen am Tag, die ja längst nicht alle für die Öffentlichkeit gedacht sind, betreffen mindestens drei die Wirtschaft. Vor wenigen Tagen war ich erst bei Opel in Kaiserslautern beim Automobilzulieferertag und habe dort zahlreiche Gespräche mit Betrieben geführt. Am Abend davor waren Vertreter von 50 Unternehmen aus dem Land zum Unternehmergespräch hier, am Tag davor habe ich Unternehmen mit Pioniergeist ausgezeichnet. Ich bin ständig im Gespräch mit der rheinland-pfälzischen Wirtschaft!Es gab aber Beschwerden, dass es erst Ende September, Anfang November offizielle Gespräche mit den Kammern gegeben habe.Lemke: Wir tauschen uns schon seit Monaten mit den Kammern aus, da kann es auch mal unterschiedliche Meinungen geben. Gerade mit den Handwerkskammern habe ich viel Kontakt. Hinzu kommen etliche informelle Gespräche mit Firmen, die beim Ministerium Hilfe suchen, ohne öffentlich darüber zu reden.Die Handwerkskammern sind offenbar verschnupft, weil Sie ohne Ankündigung die Zuschüsse für überbetriebliche Ausbildung um 40 Prozent im laufenden Haushaltsjahr gekürzt haben.Lemke: Das stimmt so nicht. Es waren nur elf Prozent. Und das war der allgemeinen Bewirtschaftungssperre zur Einhaltung der globalen Minderausgabe geschuldet, die für alle Ministerien gilt. Wir müssen sparen, um die Schuldenbremse zu erfüllen, und die Handwerkskammern bekennen sich ebenfalls zum Sparen. Es kommen noch Kürzungen bei der Betriebs- und Exportberatung hinzu, 2012 zum Beispiel 8,6 Prozent. Über die Größenordnung der Einsparungen habe ich mit den Kammern gesprochen.Wie sind die Kontakte zu den Industrie- und Handelskammern?Lemke: Es gab diverse Einladungen zu Veranstaltungen und auch ein Gespräch mit der Arbeitsgemeinschaft der vier IHKs.Sind Sie dabei auf Vorbehalte gestoßen?Lemke: Man muss mit Widerständen rechnen, wenn man wie ich eine Tour unternimmt, um den Masterplan Industrieentwicklung und den Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik zu erklären und dafür zu werben.Worin besteht dieser?Lemke: Wir versuchen eine Impulsgebung für die Wirtschaft mit anderen Mechanismen als den gewohnten. Bisher bestand die Erwartungshaltung darin, Geld zu bekommen. Wir sagen jetzt: Es ist keins mehr da für Gewerbegebiete auf der grünen Wiese mitsamt Infrastruktur und einzelbetrieblicher Förderung für alle Produkte gleichermaßen. Stattdessen wird die Beratung immer wichtiger. Wir zeigen etwa auf, wo Zukunftsmärkte liegen.Gab es keine Kritik an der von Rot-Grün geplanten Erhöhung der Grunderwerbssteuer oder der Einführung des Wassercents?Lemke: Doch, aber ich versuche dann zu überzeugen, dass dies aufgrund der Schuldenbremse notwendig ist. Man hat mir auch vorgeworfen, ich täte nichts gegen kommunale Steuererhöhungen. Da kann ich nur sagen: Die Kommunen nehmen ihre hoheitlichen Aufgaben wahr. Als Ministerin kann und will ich daran nichts ändern.Wie würden Sie Ihr Auftreten gegenüber Vertretern der Wirtschaft beschreiben?Lemke: Dynamisch, freundlich, wupp! So kennt man mich ja. Ich kämpfe mit Leidenschaft für den geschilderten Paradigmenwechsel und bin auch eine Programmatikerin. Ich bin zum Beispiel Mitautorin eines Leitantrags für den Bundesparteitag der Grünen.Könnten Vorbehalte gegen Sie daher rühren, dass erstmals eine Grüne Wirtschaftsministerin in einem Bundesland ist?Lemke: Für eine Grüne ist es neu, diesen Sektor zu betreten. Aber ich bin da nicht leichtfüßig unterwegs, sondern habe vielfältige Erfahrungen in der Wirtschaft gesammelt. Ein Kammervertreter hat mich öffentlich mit Pippi Langstrumpf verglichen. Sie setzt sich erfolgreich für die Gesellschaft und ihre Familie ein. Den Vergleich brauche ich nicht zu scheuen. Außerdem ist Pippi stark.Wie wollen Sie die Zweifler überzeugen?Lemke: Ich will die Akteure ernsthaft und seriös mitnehmen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort