Kandidatin Clinton sucht ihr Heil in der Offensive

Washington · Donald Trump trumpft auf, Hillary Clinton gerät unter Druck: Wenige Tage vor der US-Wahl wird die nicht ausgestandene E-Mail-Affäre um die demokratische Präsidentschaftsbewerberin zum beherrschenden Thema.

Washington. Nach der überraschenden Ankündigung des FBI, die bereits abgeschlossenen Ermittlungen in der Affäre um Hillary Clintons E-Mails neu aufzurollen, sucht die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten die Offensive. Während sie der Bundespolizei politische Einflussnahme vorwirft, nimmt Donald Trump die Nachricht zum Anlass, um seine Kontrahentin einmal mehr zur Kriminellen zu stempeln, die nicht ins Oval Office, sondern hinter Gitter gehöre.
Vorwürfe Richtung FBI


Es sei schon seltsam, mit derart dürren Informationen kurz vor einer Wahl an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte Clinton auf einer Wahlveranstaltung in Florida. "Es ist nicht nur seltsam, es ist auch präzedenzlos, und es ist zutiefst beunruhigend." Ihr Kampagnenmanager John Podesta hatte FBI-Direktor James Comey bereits zuvor vorgeworfen, mit diffusen Äußerungen das Bild zu verzerren. Niemand könne mehr unterscheiden, was wahr sei und was nicht. Der Brief, in dem Comey den US-Kongress am Freitag über die wieder aufgenommenen Untersuchungen informierte, sei "arm an Fakten und reich an Anspielungen", sagte Podesta.
Trump dagegen spricht genüsslich vom größten politischen Skandal seit der Watergate-Affäre, die einst den Präsidenten Richard Nixon zum Rücktritt zwang. "Ich sage euch, sie ist so was von schuldig", wetterte er vor Wählern in Colorado gegen Clinton. Die Beweislast dürfte erdrückend sein, vermute er, sonst hätte das FBI nicht gehandelt.
Noch gibt es keine Umfragen, die widerspiegeln, was der Paukenschlag an Wirkung hinterlässt. Dass er Hillary Clinton auf der Zielgeraden des Rennens bangen lässt, steht allerdings außer Zweifel. Die Favoritin wähnte sich auf der Siegerstraße, jetzt ist alles wieder offen. Die Sache mit den E-Mails schien ausgestanden, jetzt könnte sie sich noch über Monate hinziehen. Noch im Juli hatte Comey erklärt, Clinton habe zwar extrem sorglos gehandelt, aber keine Straftat begangen, als sie in ihrer Zeit als Außenministerin dienstliche Nachrichten über einen privaten Server empfing und sendete. Der Fall galt als abgehakt, nun rätselt das Land darüber, was der kryptischen Ankündigung des FBI-Chefs wohl noch folgen könnte.
Es gibt Leute im Clinton-Lager, die empört von parteipolitischer Manipulation sprechen. Comey, 2013 vom Präsidenten Barack Obama an die Spitze der Bundespolizei berufen, ist Republikaner. Allerdings erwarb er sich in den Jahren, als George W. Bush seinen "Krieg gegen den Terror" führte und er stellvertretender Justizminister war, den Ruf, ein Mann mit Rückgrat zu sein - ein Jurist, der sich weigerte, nach der parteipolitischen Pfeife zu tanzen. Sympathisanten sprechen denn auch von einem Dilemma, in dem er in diesen Tagen steckte, nach dem Motto: Wie man's macht, macht man's falsch. Hätte er das Parlament erst nach dem Votum am 8. November unterrichtet, hätte er womöglich einen Aufschrei in den konservativen Reihen provoziert. Es wäre Wasser auf die Mühlen der Trump-Anhänger gewesen. Der Schwall an Verschwörungstheorien, wonach ein "korruptes System" perfide Täuschungsmanöver fahre, hätte neue Nahrung bekommen.
Zusätzlicher Wirbel


Für zusätzlichen Wirbel sorgen Berichte, wonach Justizministerin Loretta Lynch davon abgeraten haben soll, die Nachforschungen im jetzigen Stadium publik zu machen. Lynch, schreibt die Washington Post, habe die Spitzenetage des FBI am Donnerstag daran erinnert, dass es nicht üblich sei, laufende Ermittlungen zu kommentieren. Comey, so soll sie gemahnt haben, möge die bewährte Regel beherzigen, zumal in einem derart aufgeladenen Klima, andernfalls verstoße er gegen den Grundsatz strikter Neutralität. Comey, schreibt die Zeitung weiter, habe sich die Argumente angehört, dann aber anders entschieden.
Dringen auf Details


Prominente Demokraten verlangen nun, dass er schnellstmöglich nachschiebt, was an Details fehlt. Angeführt von der Kalifornierin Dianne Feinstein, haben vier Senatoren das FBI aufgefordert, spätestens am Montag konkreter zu werden. Comey solle sagen, um wie viele E-Mails es gehe, und er solle deutlich machen, wie viele lediglich Kopien jener digitalen Briefe sind, die seine Behörde bereits vor Monaten studierte. Angeblich handelt es sich bei dem Fundus um mehr als 1000 Mails, gefunden auf einem Laptop Anthony Weiners, eines über einen Cybersexskandal gestolperten früheren Kongressabgeordneten. Das FBI ermittelt gegen den New Yorker, weil er anzügliche Bilder unter anderem an eine Fünfzehnjährige verschickt haben soll. Den beschlagnahmten Computer soll Weiner zusammen mit Huma Abedin benutzt haben, der Ehefrau, die sich im Sommer von ihm trennte. Abedin wiederum ist Clintons rechte Hand, nicht wegzudenken aus dem Team der Kandidatin.Meinung

Stochern im Nebel
Es ist ein gefundenes Fressen für Donald Trump. Dank der Überraschungsaktion des FBI-Direktors hat er zehn Tage vor der Wahl einen Aufwind bekommen, mit dem er wohl selber nicht mehr gerechnet hatte. Bis zum 8. November wird nun kein Tag mehr vergehen, an dem er die Sache mit Hillary Clintons E-Mails nicht als Beleg dafür anführt, wie korrupt "das System" sei, dem er den Kampf angesagt haben will. Gerade weil Details fehlen, kann der Populist die Gerüchteküche so richtig zum Brodeln bringen - worauf er sich bestens versteht. James Comey muss sich vorwerfen lassen, dass er den Grundsatz strikter Neutralität verletzt. Die Art, wie er den US-Kongress unterrichtete, hat einen Beigeschmack. Statt zu informieren, stiftete er Verwirrung. Wer weiß, was in den Mails stand, die Huma Abedin, Hillarys Mädchen für alles, von ihrer Chefin erhielt? Ging es um Staatsgeheimnisse? Oder um die Bitte, beim Starbucks um die Ecke einen Latte macchiato zu holen? Nun stochert jeder im Nebel, bis auf die Detektive des FBI, die es wissen müssten. nachrichten.red@volksfreund.de

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