Kanzlerin aller Deutschen

Vielleicht wollte sie den Griff in den Kleiderschrank noch einmal als Tribut an die vergangene Zeit verstanden wissen, die pünktlich um 18 Uhr vorbei ist, in der Angela Merkel aber als Bundeskanzlerin eigentlich ganz gut gelebt hat: Rot ist der Blazer, den sie für den Tag gewählt hat, schwarz ist die Hose, die sie trägt. Es sind die Farben der Großen Koalition. Doch die ist nun Geschichte.

Berlin. Im Konrad-Adenauer-Haus wird an diesem Wahlabend gejubelt, geklatscht, gekreischt - anfänglich aber lediglich über das, was die Fernsehanstalten von den anderen Schauplätzen berichten. Ronald Pofalla darf die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende küssen: Erst links, dann rechts, der CDU-Generalsekretär, der vielleicht neuer Arbeitsminister in einem schwarz-gelben Kabinett wird, atmet tief durch. Sein Schicksal ist eng mit dem Ausgang der Wahl verbunden gewesen. Angela Merkel steht neben ihm auf dem Podium, unten skandieren die Parteigänger frenetisch "Angie, Angie". Blumen hat sie bekommen, ein bisschen verlegen guckt sie zunächst drein angesichts der Sprechchöre. Es ist kurz nach 19 Uhr, Merkel hat sich Zeit gelassen, sie hat erst einmal im fünften Stock der Parteizentrale abgewartet, ob Schwarz-Gelb auch wirklich sicher ist, und wie die anderen das Ergebnis kommentieren. Die Verlierer von der SPD zuerst, lautet die Losung. Jetzt, oben auf der Bühne, grinst sie sichtlich zufrieden: "Sie sind glücklich, ich bin es heute auch", ruft sie ihren jubelnden Anhängern zu. "Wir haben etwas Tolles geschafft!", ergänzt Merkel freudig.

2005 versprach sie noch, sie wolle "Deutschland dienen". Das wäre damals beinahe schiefgegangen, heraus kam die Große Koalition. Jetzt hat sie ihre Wahlziele alle erreicht: Auch wenn die Union gegenüber dem ohnehin schon schlechten Ergebnis von vor vier Jahren noch einmal Prozentpunkte verloren hat, sie bleibt Kanzlerin, es wird ein Bündnis mit der FDP geben. Und als ob sie gleich vielen Bürgern die Angst vor einer solchen Koalition nehmen will, sagt Merkel eindringlich: "Mein Verständnis war es, und mein Verständnis ist es, dass ich die Bundeskanzlerin aller Deutschen bin." Das erinnert stark an die Antrittsrede von US-Präsident Barack Obama - Merkel präsentiert sich und versteht sich offenbar als Deutschlands Präsidial-Kanzlerin. Nur: Von Kanzlerinnenbonus kann bei dieser Bundestagswahl kaum die Rede sein. "Unser Ergebnis habe ich mir ein bisschen besser vorgestellt", räumt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers am Rande ein. Bei den Sitzungen der Unions-Gremien heute wird es also noch einiges aufzuarbeiten geben.

Gegen 17.30 Uhr ist Merkel mit ihrer Kolonne in der Tiefgarage des Konrad-Adenauer-Hauses angekommen, mit im Auto sitzen ihre Medienberaterin Eva Christiansen und ihre Büroleiterin Beate Baumann, beide sind ganz enge Vertraute. Beim Blick in den schweren Audi sieht man eine angespannt schauende Kanzlerin. Ihr Mann Joachim Sauer ist zu Hause geblieben und verfolgt die Wahlen am Fernseher. Mit der ersten Hochrechnung, die Schwarz-Gelb bereits als sicher ansieht, verfliegt die Anspannung oben im Präsidiumszimmer, wo ein Teil der Parteispitze sich um die Vorsitzende geschart hat. Böse Gerüchte haben im Vorfeld die Runde gemacht, dass Merkel innerparteilich in schweres Fahrwasser kommen würde, wenn sie Schwarz-Gelb verpassen sollte. Sollte tatsächlich jemand die Messer gewetzt haben, er muss sie nun wieder einpacken. Auch wenn Merkel für die Union ein überaus schlechtes Ergebnis einfährt, die FDP reißt es für die Union und die Kanzlerin heraus. Erst als um 18 Uhr der rote Balken der SPD deutlich unten bleibt und der gelbe Balken der Liberalen auf den Bildschirmen eindrucksvoll nach oben steigt, ist der Jubel bei den rund 4000 Unions-Gästen in der kleinen Zeltstadt, die man rund die Parteizentrale angebaut hat, grenzenlos. Beim Ergebnis der Union nicht.

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