Kein Herz für Kinder

TRIER. Kinder, die an Krebs erkrankt sind, haben heute eine größere Chance, gesund zu werden als je zuvor. Doch dazu gehört nicht nur die rein medizinische Versorgung, sondern auch die Betreuung "drumherum". Und um deren Zukunft ist es schlecht bestellt.

Derkleine Kevin (Name geändert) ist erst fünf, und medizinischeFachausdrücke gehören normalerweise nicht zu seinem Repertoire.Doch wenn er das Wort "Lumbalpunktion" hört, verzieht sich dasKindergesicht schmerzlich. Es hat mit einer großen Spritze zutun, und mit Schmerzen, die immer wieder kommen, wenn eine derzahlreichen Untersuchungen in der Kinderkrebsstation des TriererMutterhauses ansteht. Wie gut, dass es wenigstens SchwesterGertrud und ihren "Piekse-Korb" mit den kleinen"Tapferkeits-Belohnungen" gibt. Und Lilli und Lolek, die beidenKlinik-Clowns, die einmal in der Woche kommen. Kinder und Eltern wissen diese "Betreuung am Bett" gleichermaßen zu schätzen. Ebenso wie die Unterstützung der Psychologin Sonja Fischbach, die meist schon dabei ist, wenn Eltern die schlimme Diagnose erfahren, und die immer wieder hilft, wenn alles zusammenzubrechen droht.

Doch die Kinderkrebs-Schwester, die Clowns, die Psychologin, selbst der Piekse-Korb: Alles steht auf der Kippe. Denn diese Angebote werden über Spenden finanziert, weil keine Kasse dafür aufkommt. Und die Spendenmittel, sagt Eugen Schuh vom Förderverein krebskranker Kinder, entwickeln sich negativ - das Hochwasser im Osten machte sich bemerkbar, in diesem Jahr dürfte es der Irak-Krieg sein, und auch die anhaltend schwierige Wirtschaftslage hebt nicht gerade die Spendenfreudigkeit.

Wenn sich die Situation nicht bessert, sind die Konsequenzen absehbar. Dabei geht es nicht um Luxus, sondern um eine existenzielle Hilfe zum Gesundwerden. Beratungs- und Unterstützungspersonal, das professionell geschult ist und die Kinder begleitet, hat nach Ansicht aller Experten einen hohen therapeutischen Wert. "Es ist wichtig für die Kinder, dass es Leute vom Krankenhaus gibt, die ihnen nicht weh tun", beschreibt Psychologin Fischbach die Verfassung kleiner Langzeit-Patienten.

Am Rand der Möglichkeiten

Sonja Fischbach und Schwester Gertrud Rosen sind nicht nur im Krankenhaus für ihre Patienten da. Sie gehen beispielsweise mit in den Kindergarten oder die Schule, erklären, warum ein Kind wie Kevin demnächst alle Haare verlieren wird. Schwester Gertrud geht auch zu Kindern nach Hause, deren Behandlung vergeblich war und die nun auf den Tod warten.

Zum Glück sind das die Ausnahmen. 80 Prozent aller Leukämie-Erkrankungen bei Kindern seien heute heilbar, dieses ermutigende Beispiel nennt Chefarzt Professor Wolfgang Rauh. Vor allem die Fortschritte bei der exakten Dosierung der Chemotherapie seien entscheidend für die meist günstige Prognose.

Allerdings ist der Pflege-Aufwand angesichts der radikalen Therapie enorm. "Die Kinder brauchen im Prinzip rund um die Uhr einen Arzt und eine Schwester", sagt Rauh. Bislang war dieser Aufwand gerade noch leistbar. Aber die neuen pauschalierten Bemessungsgrundlagen für Pflegeleistungen seien auf die Bedürfnisse von Kindern nicht zugeschnitten, warnen Experten.

Nun steht die Einführung an, und Professor Rauh hat "große Sorgen, dass es keine adäquaten Abrechnungsmöglichkeiten für besonderen pädiatrischen Aufwand gibt". Die Konsequenzen wären fatal: Eine Klinik wie das Mutterhaus müsste bei ihrer Kinder-Abteilung ständig zubuttern.

30 Prozent Unterfinanzierung in diesem Bereich sind keine Horror-Prognose. Die Folge: Kleine Patienten müssten eventuell in weit entfernte Uni-Kliniken ausweichen. Wie schnell das passieren könnte, zeigt die aktuelle Situation. In den vier Monaten seit Jahresbeginn hat das Mutterhaus schon zwölf kleine Krebs-Patienten aufgenommen, so viel wie sonst im ganzen Jahr. Die Abteilung ist am Rand ihrer Möglichkeiten.

Für das Personal bedeutet das jede Menge Überstunden und sogar Engagement in der Freizeit. Noch ist die Basis vorhanden, aber sie wankt.

Wenn der kleine Kevin weiterhin eine optimale, wohnortnahe medizinische Versorgung und die darüber hinaus notwendige Zuwendung erhalten soll, dann muss sich einiges bewegen. Auf dem medizinischen Sektor sind Politiker und Kassen in der Pflicht - bei der menschlichen Betreuung rundherum ist die Hilfe der Bürger in der Region gefragt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort