Kirchenaustritte: Die Welle ebbt wieder ab

Folgen der Missbrauchsdiskussion: Die Zahl der Kirchenaustritte im Bistum Trier ist schon jetzt deutlich höher als im gesamten Vorjahr. Allerdings scheint die Talsohle durchschritten. Ist die Mission des Sonderbeauftragten Stephan Ackermann erfolgreich?

 Gut gefüllte Kirchenbänke sind in katholischen Gotteshäusern eher die Ausnahme. Kleiner Lichtblick: Die Kirchenaustrittszahlen gehen wieder deutlich zurück. Foto:iStock/David H. Lewis

Gut gefüllte Kirchenbänke sind in katholischen Gotteshäusern eher die Ausnahme. Kleiner Lichtblick: Die Kirchenaustrittszahlen gehen wieder deutlich zurück. Foto:iStock/David H. Lewis

Trier. Wer zu Beginn des Jahres nichts mitbekommen hatte vom Skandal um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, der brauchte später nur einen Blick in die Statistik zu werfen, um zu merken, dass da etwas Besonderes passiert sein muss, etwas, was die Kirche letztlich in ihren Grundfesten erschüttert hat. Im Bistum Trier, der ältesten unter den 27 deutschen Diözesen, explodierten im März/April plötzlich die Austrittszahlen. Innerhalb von nur zwei Monaten traten beinahe so viele Gläubige aus der katholischen Kirche aus (2561) wie im ganzen Jahr 2006. Da waren es knapp 3000 gewesen.

Wie in Trier stiegen auch in den übrigen Bistümern die Austrittszahlen sprunghaft an. Eine Abstimmung mit den Füßen. Viele Katholiken waren mehr als erbost über das jahrzehntelange Vertuschen, Verharmlosen und Verschweigen von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, einige aber auch über die Aufarbeitung des Skandals.

Inzwischen scheint die Talsohle durchschritten. Zumindest im Bistum Trier. Darauf deuten jedenfalls die aktuellen Austrittszahlen hin, die unserer Zeitung vorliegen. Von Monat zu Monat (siehe Grafik) kehren immer weniger Gläubige der katholischen Kirche den Rücken. Im Juli waren es 426 und im August bis gestern 288.

Das dürfte mit ein Verdienst des Trierer Bischofs Stephan Ackermann sein, den die Bischöfe auf ihrer letzten Vollversammlung Ende Februar zum Missbrauchsbeauftragten ernannt hatten. Der 47-Jährige redete nicht nur Klartext, sondern er drückte auch auf die Tube: Ackermann richtete eine bundesweit erreichbare Missbrauchshotline ein (siehe Extra), schuf bei der Bischofskonferenz eine Koordinierungsstelle mit neuem Personal und traf sich mit Missbrauchsopfern.

Auch die Überarbeitung der acht Jahre alten Leitlinien zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der Kirche schrieben die Bischöfe ihrem Sonderbeauftragten ins Aufgabenbuch. Dass dies kein leichter Job werden würde, wurde spätestens klar, als der Münchener Erzbischof Reinhard Marx überraschend ankündigte, künftig jeden Missbrauchsverdachtsfall anzuzeigen - unabhängig davon, ob das die Opfer wollen. Sein Nachfolger in Trier, Stephan Ackermann, ist strikt dagegen.

Spätestens in einer Woche wird klar werden, wer von den beiden Oberhirten sich durchgesetzt hat. Dann stellt der Sonderbeauftragte die neuen Leitlinien vor (siehe Hintergrund).extra Opfer-Hotline: Bei der seit Ende März geschalteten Missbrauchshotline der katholischen Kirche hat es nach Bistumsangaben bislang mehr als 3000 Gespräche gegeben. Hinzu kamen noch einmal 193 Online-Beratungen, also "Gespräche" über eine Internet-Plattform. Unter der bundesweit erreichbaren Gratis-Telefonnummer 0800-1201000 können sich Missbrauchsopfer an Trauma-Experten des Bistums wenden. Auch über die Internetadresse www.hilfe-missbrauch.de können Opfer anonym Kontakt mit den Beratern aufnehmen. (sey)Hintergrund Neue Leitlinien: Die katholischen Bischöfe haben sich nach stundenlanger Beratung am Montag in Würzburg auf neue Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche verständigt. Ob die Vorschriften die bisherigen Regeln verschärfen, wollte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Matthias Kopp, nicht sagen. Wie die überarbeiteten Leitlinien genau aussehen, will der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche, Bischof Stephan Ackermann, am 31. August in Trier vorstellen. Bis dahin müsse der Text noch leicht überarbeitet werden, sagte Kopp. Angesichts der Missbrauchsskandale in Einrichtungen der katholischen Kirche hatte sich die DBK dazu entschieden, die 2002 gefassten Leitlinien zu überarbeiten. Mehrfach war der Ständige Rat der Bischofskonferenz - das sind alle 27 Diözesanbischöfe - deshalb auch nach Würzburg gekommen. (dpa)

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