Klage gegen Cattenom möglich, aber nur bei einem schwerwiegenden Risiko (Update)

Trier · Ein Rechtsgutachten belegt, dass Rheinland-Pfalz und das Saarland rechtliche Schritte gegen das Atomkraftwerk in Lothringen einlegen können. Zuvor müssen sie aber nachweisen, dass der Betrieb der Anlage gefährlich ist.

 AKW Cattenom. Foto: Christophe Karaba/Archiv

AKW Cattenom. Foto: Christophe Karaba/Archiv

Mit jeder neuen Panne im Atomkraftwerk Cattenom wird die Forderung aus Mainz und Saarbrücken lauter: abschalten. Seit Jahren fordern die beiden Landesregierungen gemeinsam mit Luxemburg, dass die vier Reaktoren im benachbarten Lothringen vom Netz gehen. Immer wieder gibt es Gespräche zwischen Ministern diesseits und jenseits der Grenze. Doch erreicht worden ist bislang nichts. Frankreich hält weiter an der Atomkraft fest, will Uraltmeiler wie Cattenom trotz Protesten aus den Nachbarländern auch in den nächsten Jahren laufen lassen. Auch die angekündigte Stilllegung des ältesten Atomkraftwerks Frankreichs, das im elsässischen Fessenheim, ist noch nicht endgültig besiegelt.

Trotz des Protests der Politik und weiter Teile der Bevölkerung haben sich das Saarland und Rheinland-Pfalz bislang schwergetan mit einer Klage gegen die über 30 Jahre alte Anlage in Cattenom.

Erst der Druck von Atomgegnern und von den kommunalen Räten in der Region hatte Rheinland-Pfalz dazu bewogen, überhaupt über eine Klage nachzudenken. Immer wieder wurde auch im Mainzer Landtag darüber diskutiert. Doch Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) und ihr Staatssekretär Thomas Griese (Grüne) betonten immer wieder, dass eine Klage gegen den Pannenmeiler Cattenom nicht so einfach sei - anders als juristische Schritte gegen das ebenfalls wegen ständiger Zwischenfälle als unsicher geltende Atomkraftwerk Tihange in Belgien, bei dem sich das Land Klagen angeschlossen hat.

Ende August vergangenen Jahres hatte Höfken in Trier angekündigt, dass Rheinland-Pfalz und das Saarland gemeinsam prüfen würden, ob eine Klage gegen Cattenom überhaupt möglich ist. Dazu hatten beide Länder eine Pariser Anwaltskanzlei beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Damit sollte geklärt werden, ob eine Klage möglich ist und gegen wen sich diese gegebenenfalls richten müsste.

Gestern hat die rheinland-pfälzische Umweltministerin gemeinsam mit dem saarländischen Umweltstaatssekretär Roland Krämer (SPD) das Ergebnis des Gutachtens vorgestellt. Ob die beiden Länder nun klagen werden, steht noch immer nicht fest. Das Rechtsgutachten zeigt lediglich, dass eine Klage gegen den Weiterbetrieb der Anlage nach französischem Recht möglich ist. Allerdings, so Höfken: "Wir müssen nachweisen, dass es schwerwiegende Risiken durch den Pannenreaktor gibt."

Was genau schwerwiegende Risiken sind, das ist gesetzlich weder in europäischem noch im französischen Recht klar festgelegt, sagte Anouk Darcet-Felgen, eine der Verfasserinnen des Gutachtens. Darin heißt es auch, dass die Aussichten auf Erfolg einer solchen Klage und danach auf eine Stilllegung des Kraftwerks "angesichts der geringen Zahl an Präzedenzfällen", also vergleichbarer Urteile, schwer abzuschätzen sei.

Um die Risiken überhaupt erst einmal festzustellen, haben die beiden Bundesländer ein zusätzliches technisches Gutachten in Auftrag gegeben. Mit Ergebnissen dieser Expertise rechnen Höfken und Krämer im Herbst. Erst dann werde entschieden, ob eine Klage realistische Erfolgsaussichten habe.

Für Höfken ist klar: Cattenom entspricht nicht dem europäischen Sicherheitsstandard für Atomkraftwerke. Sie stützt sich dabei auf ein Gutachten der Grünen-Bundestagsfraktion (der TV berichtete). Danach ist die seit 1986 am Netz befindliche Anlage nicht ausreichend gegen Erdbeben, Flugzeugabstürze und Hochwasser geschützt.

Der saarländische Umweltstaatssekretär verwies zudem auf eine Meldung der französischen Medien von vergangener Woche. Demnach gibt es in insgesamt acht Kernkraftwerken, darunter Cattenom, ein sicherheitsrelevantes Problem. Demnach sind die Dieselmotoren, die im Notfall Strom erzeugen sollen, bei einem Erdbeben vermutlich nicht funktionstüchtig.

Doch all das reicht nach Ansicht von Rechtsanwältin Darcet-Felgen nicht aus, um im Sinne des französischen Rechts als schwerwiegendes Risiko anerkannt zu werden. Es müsse nachgewiesen werden, dass diese oder andere Risiken den Betrieb der Anlage unmöglich machen würden.

Allerdings kann nicht direkt Klage eingereicht werden. Zunächst müssen die Länder - Höfken hofft, dass sich Luxemburg anschließen wird - den französischen Premierminister förmlich um eine Stilllegung von Cattenom bitten. Dieser hat dann zwei Monate Zeit, darauf zu reagieren. Tut er das nicht oder lehnt er die Stilllegung ab, kann Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht in Straßburg eingereicht werden. Das dürfte dann frühstens im Frühjahr nächsten Jahres der Fall sein. Laut Anwältin dürfen sich auch die Kommunen, also etwa die Stadt Trier oder die Landkreise Trier-Saarburg und Merzig-Wadern, einer solcher Klage anschließen.

In dem Rechtsgutachten heißt es: "Die Beweisführung im Rahmen eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, um die Abschaltung eines Kernkraftwerks zu erwirken, erweist sich als schwierig." Die Überprüfungen der französischen Atomaufsicht müssten durch Beweise widerlegt werden. Die Rechtsanwältin geht von einer Verfahrensdauer von bis zu drei Jahren aus.

Laut Höfken rechnen das Saarland und Rheinland-Pfalz mit Kosten von 300.000 Euro für Klage und die beiden Gutachten. Die rheinland-pfälzische Ministerin spricht von gut angelegtem Geld. Man werde "alle juristischen und politischen Möglichkeiten ausschöpfen, um das Atomkraftwerk Cattenom endlich stillzulegen", sagte Umweltstaatssekretär Krämer. Ein Reaktorunfall in der Anlage, in der es seit 1986 mehr als 800 gemeldete Zwischenfälle gegeben habe, würde eine Verstrahlung von weiten Teilen des Saarlandes und der Region Trier zur Folge haben.
Info

Streit um Teilnahme

Der Trier-Saarburger Landrat Günther Schartz (CDU) ist gestern kurzfristig zu der von der rheinland-pfälzischen Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) in der Trierer Aufsichs- und Dienstleistungsdirektion (ADD) veranstalteten Pressekonferenz gekommen. Er war, wie andere kommunale Spitzenpolitiker aus der Region und dem Saarland, nicht dazu eingeladen. Darüber hatten sich Schartz und der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) öffentlich beschwert (der TV berichtete). Höfken entschuldigte sich gleich zu Beginn der Pressekonferenz dafür und nannte es ein Versäumnis. Leibe und Schartz seien daher kurzfristig nachträglich eingeladen worden.

Schartz begrüßte, dass weiterhin eine Klage geprüft werde. Ob sich dieser dann Trier-Saarburg oder andere Kommunen anschließen, steht noch nicht fest.

Der Landrat verwies auf eine gescheiterte frühere Klage umliegender Kommunen kurz nach der Inbetriebnahme des Kraftwerks in Cattenom.

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