Kleiner Glückspilz, großer Staatsmann

BERLIN. Auch sechseinhalb Jahre nach dem Abschied von der Macht ist Helmut Kohl noch ein Politstar der Sonderklasse. Am Sonntag wird der "Einheitskanzler", bisweilen auch spöttisch "Birne" genannt, 75 Jahre alt.

Über das "pfälzische Gesamtkunstwerk" (Joschka Fischer) ist schon alles gesagt und geschrieben worden. Ganze Heerscharen von Journalisten haben sich an ihm abgearbeitet, ihn verdammt oder in den Himmel gehoben, sein politisches Gespür bewundert und über sein sagenhaftes Glück fabuliert. Symposium ohne alte Freunde

Natürlich feiert die CDU Helmut Kohl zu seinem 75. Geburtstag, und zwar genau dort, wo sich der gelernte Historiker Kohl am besten aufgehoben fühlt: im Deutschen Historischen Museum "Unter den Linden" in Berlin. An seinem Ehrentag selbst, dem 3. April, wird der Altkanzler zwar zu Hause in Oggersheim weilen und gemeinsam mit seinen zwei Söhnen und deren Familien privat die Gläser heben. Am 11. April steigt dann aber der große Empfang, zu dem die Konrad-Adenauer-Stiftung (Kas) einlädt, die am Tag darauf auch noch ein Symposium veranstaltet. Nun ist ein Symposium eine Art Konferenz von Experten zu einem bestimmten Thema. Es war im alten Griechenland aber auch ein Trinkgelage, bei dem das philosophische Gespräch im Vordergrund stand. Kohl vereinigt wie üblich beides in sich, und die Kas vereinigt in einer Extra-Broschüre die "Stationen seines Lebens", die auch von Ex-Bundespräsident Roman Herzog in einer Festansprache gewürdigt werden. Als Gäste und Teilnehmer des Symposiums mit dabei: Kas-Chef Bernhard Vogel, der alte Freund aus Mainzer Tagen; Angela Merkel, "das Mädchen" (Kohl) und die Nachfolgerin; Henry Kissinger, der ehemalige US-Außenminister; Jaques Delors, der frühere Präsident der Europäischen Kommission und viele andere. Nicht dabei sein werden, und das wirft durchaus ein schales Licht auf den Machtmenschen Kohl, ausgerechnet seine ehemals besten Freunde: Mit Wolfgang Schäuble, Heiner Geißler und Norbert Blüm hat er sich nichts mehr zu sagen. Kohl ist das Feiern zur Gewohnheit geworden. Der langjährige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler ist ungezählte Male geehrt worden. Bereits zu seinem 60. Geburtstag hatten 3000 Gratulanten in der Bonner Beethovenhalle dem "deutschen Patrioten und Europäer" zu einem wohligen Glücksgefühl verholfen. Dagegen war sein 70. Geburtstag zu einem Trauertag geworden, wegen der Spendenaffäre, die einen schwarzen Schatten über die imposante Lebensleistung des CDU-Patriarchen warf - und bis heute wirft. Denn Kohl hat seine Ehrpusseligkeit bis ins schwer Erträgliche gesteigert: Er verweigert die Aussage über die ehrenwerte Gesellschaft, die ihm jahrelang mindestens 2,1 Millionen Mark Schwarzgeld zugesteckt hat. Er habe sein "Ehrenwort" gegeben, sagt er unter kühler und kühner Missachtung der Gesetzeslage. Im März 2001 ist der Spendensünder vom Bonner Landgericht zu 300 000 Mark Geldstrafe verurteilt worden. Kohl gilt damit nicht als vorbestraft. Doch ein Makel blieb. Kohl wäre aber nicht Kohl, wenn er mit solchen Problemen nicht umgehen könnte. Der Gemütsmensch aus der Pfalz vermag Unliebsames einfach auszublenden. Es belastet ihn dann nicht. Schon als ewiger Kanzler hat er seine Fehler und Schwächen kurzerhand ignoriert. Kombiniert hat er diese Gabe der Unerschütterlichkeit mit seiner herzlichen Derbheit, die ihn beim Volk so gut ankommen ließ. Die Leute haben diesen uneitlen Kaventsmann nicht unbedingt geliebt, aber gemocht und respektiert. Das reichte dem Sohn eines Finanzbeamten, der sich Zeit seines Lebens nur für Politik und Geschichte (und gutes Essen und Trinken) interessiert hat. Großes Ansehen in aller Welt

Gegenwärtig schreibt er an Band zwei seiner "Erinnerungen". Im Herbst können die Fans aus erster Hand erfahren, wie das damals, 1982, genau war mit dem konstruktiven Misstrauensvotum, das Kohl an die Macht gebracht hat. Oder mit der "Wörner-Kießling-Affäre" 1983, bei der er keine überzeugende Figur machte. Noch spannender dürfte die Beschreibung des Putschversuchs sein, mit dem die "Viererbande" um Heiner Geißler, Norbert Blüm, Lothar Späth und Rita Süssmuth den damals erfolglosen Kanzler 1989 kippen wollte. Das interessanteste Kapitel aber ist und bleibt der Fall der Mauer. Ein Jahrhundertereignis, das dem damals innenpolitisch wankenden "schwarzen Riesen" wieder Boden unter die Füße brachte. Diese Chance seines Lebens hat er auf beeindruckende Weise genutzt und die deutsche Einheit gezimmert, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist: eine Legende für die Alten und ein Mythos für die Jungen. Ein kleiner Glückspilz und ein großer Staatsmann, der in aller Welt beträchtliches Ansehen genießt.

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