Krise macht Schwerbehinderten besonders zu schaffen

Schwerbehinderte Menschen sind nach Informationen unserer Zeitung von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffen. Laut Bundesagentur für Arbeit hat sich die Zahl der Arbeitslosen in dieser Gruppe zwischen Juni 2008 und Juni 2010 überproportional um rund sieben Prozent auf 173 740 Menschen erhöht.

Berlin. Wie aus einer Stellungnahme der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht, lag die Arbeitslosenquote bei den Schwerbehinderten im Jahresdurchschnitt 2008 und 2009 bei jeweils 14,6 Prozent. Das ist etwa doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote in Deutschland. Zugleich räumte das Bundesarbeitsministerium ein, dass die aktuell spürbare Entspannung am Arbeitsmarkt noch nicht bei den arbeitssuchenden Schwerbehinderten angekommen ist. Im Juli war die Arbeitslosigkeit in dieser Personengruppe nochmals um 0,5 Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen. Im Vergleich zum Juli 2009 erhöhte sie sich sogar um 4,4 Prozent. Dagegen ging die Arbeitslosigkeit insgesamt in diesem Zeitraum um 7,8 Prozent zurück.

Unter den Schwerbehinderten gibt es auch mehr Langzeitarbeitslose als im Bundesdurchschnitt. Im Juni lag ihre Zahl bei rund 63 000. Das waren gut 36 Prozent der als arbeitslos regis-trierten Behinderten. Die allgemeine Quote lag bei nur rund 32 Prozent. Ein Lichtblick: Seit Juni 2008 hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen mit schwerer Behinderung um etwa 7000 verringert.

Bis zum Jahr 2000 waren Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten gesetzlich verpflichtet, sechs Prozent ihrer Stellen mit arbeitsfähigen Schwerbehinderten zu besetzen. Von der damaligen rot-grünen Bundesregierung wurde die Vorgabe dann auf fünf Prozent abgesenkt. Doch auch davon ist Deutschland noch deutlich entfernt. Nach der aktuell verfügbaren Statistik der Bundesagentur für Arbeit lag der Anteil von Schwerbehinderten unter allen Beschäftigten im Jahr 2008 bei 4,3 Prozent. Die privaten Arbeitgeber kamen lediglich auf 3,7 Prozent. Der bessere Gesamtdurchschnitt resultiert daraus, dass die Beschäftigungsquoten der Schwerbehinderten vor allem in den Bundes- und Landesbehörden deutlich über der gesetzlichen Vorgabe liegen.

Mit einer Beschäftigungsquote von insgesamt 5,1 Prozent schneidet dann auch Berlin (hier sitzt bekanntlich die Bundesregierung) am besten unter allen Bundesländern ab. Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt mit 3,7 Prozent. Nordrhein-Westfalen kommt auf 4,7 Prozent, Rheinland-Pfalz auf 3,8 Prozent.

"In Anbetracht der aktuellen Diskussion über den Fachkräftemangel sollten Arbeitgeber und Bundesregierung sich die Frage stellen, ob man es sich noch länger leisten kann, auf die Fähigkeiten und Erfahrungen von Menschen mit Behinderung zu verzichten", meinte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Zimmermann, gegenüber unserer Zeitung. Für die Betriebe müsse es sich mehr lohnen, Schwerbehinderte zu beschäftigen und von ihnen zu profitieren, als sich "freizukaufen".

Nach den geltenden Bestimmungen müssen die Betriebe eine moderate Ausgleichsabgabe entrichten, wenn sie die Quote nicht erfüllen. Zimmermann forderte die Bundesregierung dazu auf, die Ausgestaltung dieser Abgabe und die Beschäftigungsquote neu zu überdenken.

Extra Kirchen für höhere Hartz-IV-Sätze: Die beiden großen christlichen Kirchen haben sich für mehr Geld zugunsten von Langzeitarbeitslosen ausgesprochen. Sowohl der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, als auch der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, befürworten deutlich höhere Hartz-IV-Sätze. "Wir stellen uns eine Anpassung des Regelsatzes vor, die bei mehr als 400 Euro liegt", sagte July. Zollitsch begründete die Forderung mit dem Urteil des Verfassungsgerichts, das im Februar die Regierung verpflichtet hatte, bis Ende 2010 eine nachvollziehbare und transparente Berechnungsgrundlage für die Hartz-IV-Sätze vorzulegen. Der derzeitige Regelsatz für einen Erwachsenen liegt bei 359 Euro im Monat. Bis zum Herbst will Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Reformpläne vorstellen. (dpa)

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