"Landesbewusstsein wuchs früh"

RHEINLAND-PFALZ. Sein erster Eindruck von dem Land, das wenig später "Rheinland-Pfalz" heißen, und für das er vier Jahrzehnte lang politisch wirken sollte, war denkbar flüchtig: Der Student Johannes Baptist Rösler war 1945 als Kriegsgefangener in einem Lager in Mainz-Hechtsheim interniert. Für die Umgebung "haben wir uns nicht weiter interessiert", erinnert sich der heute 84-Jährige, der bis 1986 erster Bürgerbeauftragter des Landes war.

Zum rheinland-pfälzischen Bürger wurde Rösler sieben Jahre später. Mit seiner Frau Viktoria zog er nach Bingen, wo der mittlerweile promovierte Sozialwissenschaftler Religionsunterricht an der Berufsschule erteilte, und wo das Paar bis heute lebt. Der "geborene Katholik" trat 1950 in die CDU ein und gehörte zur politischen Aufbaugeneration. "Als ich in den Landtag kam, gab es schon ein Rheinland-Pfalz-Bewusstsein": Ein überraschendes Zeugnis für 1955. Noch im Jahr darauf standen Volksbegehren zur Wiederherstellung von Grenzverläufen des 19. Jahrhunderts zur Debatte. Rösler, der Heimatvertriebene aus der Tschechoslowakei, hielt sich mit Äußerungen zurück. Aber er bemerkte: Es loderten noch "kleinere Feuerchen". Rösler erinnert sich an ein Flugblatt mit einer Karikatur, auf dem ein Knochen das einst zu Rheinhessen-Darmstadt gehörende Rheinhessen symbolisierte, umgeben von hungrigen Hunden. Ein Jurist aus der Westpfalz kämpfte für die Rückgliederung seiner Heimat nach Bayern. "Doch diese Kämpfe wurden immer ruhiger", so Rösler. Schließlich hatten die französischen Besatzer 1946 Fakten geschaffen, und der langjährige Ombudsmann merkt an: "Für einen Menschen, der mit Verwaltung nichts zu tun hat, für den hat sich nicht viel geändert." Unterdessen stellte das Parlament des jungen Bundeslandes Weichen. Von einer war Rösler selbst betroffen: Als die Zuständigkeit für die Berufsschulen Anfang der 60er-Jahre von den Kreisen auf das Land überging, musste er den geliebten Lehrerberuf aufgeben - ein Abgeordneter darf nicht beim Land beschäftigt sein. Rösler selbst war von seiner "Jungfernrede" an ein leidenschaftlicher Verfechter der Subsidiarität, damals ein wenig bekanntes Wort, heute ein Schlüsselbegriff: "Nichts soll auf eine höhere Ebene geholt werden, was weiter unten zu einem guten Ende geführt werden kann." Das 25. Verfassungsjubiläum im Koblenzer Stadttheater gestaltete er 1972 als Landtagspräsident mit. "Ob sich in unserer Bevölkerung so etwas wie ein rheinland-pfälzisches Staats- oder Landesbewusstsein entwickelt hat?", fragte er. Er bejahte, traf aber eine Unterscheidung: Nicht im Sinne "emotionell-patriotischer Gefühle", sondern im Bezug auf "nüchtern-pragmatische" Überlegungen. Das verordnete Gebilde hatte Eingang ins Denken der Bürger gefunden. Heute appellieren fast alle Parteien im Wahlkampf mit "Heimat Rheinland-Pfalz" auch an die "emotionelle" Seite.

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