Mehr Krisensymptom als Problemlöser

Auf wenig Gegenliebe stoßen bei Funktionären der Landes-SPD Gedankenspiele um eine Urwahl des nächsten Kanzlerkandidaten. Laut Umfrage plädieren 90 Prozent der Anhänger für ein Votum der Basis. Parteienforscher Ulrich Sarcinelli verweist auf "gemischte Erfahrung" mit Urwahlen.

 Sehen nach den zweifelhaften Erfahrungen mit der Urwahl des früheren Parteichefs Rudolf Scharping keinen Anlass, einen neuen Spitzenjob per Mitgliedervotum zu vergeben: (von links) Ulrich Sarcinelli, Heike Raab und Josef Peter Mertes. Fotos: privat (2), Bianca Weber (1)

Sehen nach den zweifelhaften Erfahrungen mit der Urwahl des früheren Parteichefs Rudolf Scharping keinen Anlass, einen neuen Spitzenjob per Mitgliedervotum zu vergeben: (von links) Ulrich Sarcinelli, Heike Raab und Josef Peter Mertes. Fotos: privat (2), Bianca Weber (1)

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Mainz. Die Abstimmung der Parteianhänger gilt als basisdemokratisches Element, mit dem Funktionärsmacht Grenzen gesetzt werden kann. Doch mit der nun wieder per Umfrage des Instituts Emnid ins Spiel gebrachten Urwahl für ein Spitzenamt (der TV berichtete) hat vor allem die SPD ihr eigene Erfahrung gemacht, so der Landauer Politik-Professor Ulrich Sarcinelli. 1993 setzte sich der Mainzer Ministerpräsident Rudolf Scharping auf diesem Weg gegen Gerhard Schröder im Kampf um den SPD-Vorsitz durch. Zwei Jahre und eine verlorene Bundestagswahl später wurde er auf einem Parteitag von Oskar Lafontaine per Delegiertenvotum gestürzt. Ursprünglich als demokratische Neuerung viel gepriesen, erweisen sich innerparteiliche Urwahlen laut Sarcinelli inzwischen mehr als Krisensymptom denn als Problemlösungs-Instrument. Der basisdemokratische Rückenwind hatte Scharping mittelfristig wenig genützt. Die Forderung nach Urwahlen signalisiert für den Parteienforscher weniger demokratischen Aufbruch als Unsicherheit über die gewünschte Kandidatenkonstellation.Nicht zuletzt wegen der Erfahrung bei der Scharping-Wahl steht SPD-Generalsekretärin Heike Raab Urwahlen skeptisch gegenüber. Mitgliederbefragungen und der damit einhergehende Vorwahlkampf könnten mehr Gräben aufreißen als Brücken bauten, sagt sie. Die Entscheidungsfindung über die Parteigremien hält Raab für sinnvoller. Dass ein Votum der Basis ein Ausweg für die SPD und ihren politisch angeschlagenen Vorsitzenden Beck aus einer schwierigen Lage sein könnte, sieht sie nicht. Als ein "einfaches Parteimitglied" hat der Mainzer Klaus Euteneuer allerdings nichts gegen eine direkte Wahl des Kanzlerkandidaten. Aber er fragt sich: Wer darf antreten und wer schlägt vor? Der Trier-Saarburger SPD-Vorsitzende Manfred Nink plädiert dafür, Spitzenämter auf Bundesebene auf dem Weg über die Gremien zu vergeben. Zwar habe man mehrfach auf Kreisebene Kandidaten über Abstimmungen bei Mitgliederversammlungen statt Delegierten-Parteitagen nominiert. Doch was sich regional bewährt habe, sei nicht gleich auch passendes Rezept für die Wahl eines Kanzlerkandidaten, nicht zuletzt mit Blick auf großen Aufwand und unsichere Beteiligung.Kurt Becks Fahrplan sieht vor, im Herbst oder zu Jahresanfang 2008 einen Personal-Vorschlag zu machen. Wobei er für sich als Parteichef auch das erste Zugriffsrecht reklamiert. Entschieden wird dann von einem Parteitag. Der Vorsitzenden des Parteirats der Landes-SPD, Roger Lewentz, hält von der Urwahl wenig. Die Diskussion wird nur von außen geführt, ist er sich sicher. Entsprechende Stimmen in der Partei habe er bislang nicht gehört. Auch Josef Peter Mertes, Mitglied des Landesvorstands, sieht keinen Anlass, den Weg über eine Mitgliederbefragung zu gehen.

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