Mehr Studenten braucht das Land

Einen Akademiker-Mangel und ungleiche Bildungschancen schreibt die jüngste OECD-Studie dem deutschen Bildungssystem als Defizite ins Stammbuch. Kritiker monieren, die Studie werde dem deutschen System der dualen Ausbildung nicht gerecht. Unstrittig ist gleichwohl, dass der Anteil der Studenten zu gering ist.

Mainz. Zu wenig Ingenieure, zu wenig Lehrer - und zudem zieht es nur noch ein Drittel der Abiturienten an die Hochschule: Die aktuelle Bildungsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in der 30 Länder zusammengeschlossen sind, klingt dramatisch (der TV berichtete). Kritisiert wird nicht nur, dass der Hochschulzugang besonders stark von der sozialen Herkunft abhängt, sondern auch, dass der Wunsch zu studieren insgesamt vergleichsweise gering und damit ein wachsender Fachkräftemangel programmiert ist.Das Bundesbildungsministerium warnt dagegen vor zu pauschalen Urteilen aus der Studie, die das duale Ausbildungssystem in Deutschland nur unzureichend berücksichtige. Viele Berufe, wie etwa der der Krankenschwester, gelten in der Bundesrepublik als Lehrberuf, während sie in anderen Ländern als Hochschulausbildung angelegt sind. Nach Überzeugung des Philologenverbandes ist die Studie daher schlicht irreführend. Er verweist auf die Wirtschaftskraft Deutschlands, die aus seiner Sicht ohne qualifizierte Ausbildung kaum möglich ist.Für den OECD-Bildungsforscher Andreas Schleicher krankt dagegen Deutschland an der "Lebenslüge", dass das durchaus anerkannte System der dualen Ausbildung die künftige Nachfrage nach Spitzenkräften befriedigen könne. Andere Länder sind nach seinen Angaben erheblich erfolgreicher beim Ausbau ihrer Hochschulen. So stiegen die Studentenzahlen in Deutschland von 1995 bis 2005 um fünf Prozent, im Durchschnitt der OECD-Staaten dagegen um mehr als 40 Prozent. Ähnlich liegen die Zahlen beim Zuwachs der Bildungsausgaben. Andere Länder strengen sich deutlich mehr an, so Schleichers Fazit.Dass es Deutschland an Dynamik fehlt, wird auch im Bundesbildungsministerium nicht bestritten. "Wir sind nicht schlechter als die anderen, die waren nur schneller", stellte ein Ministeriumssprecher dazu fest. Gleichzeitig wird allerdings auch darauf verwiesen, dass die Bundesrepublik laut OECD nicht nur international als Studienland hoch angesehen ist, sondern auch bei den Promotionen in der Spitzengruppe liegt. Doch unstrittig ist auch für den Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, den Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner, dass der Anteil der Studierenden bundesweit von 36 auf mindestens 40 Prozent ansteigen soll, um den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken. Für den Dachverband der Ingenieure und Informatiker an Hochschulen ist die wirklich alarmierende Nachricht der Studie, dass bei einem geschätzten bundesweiten Fehlen von 50 000 Ingenieuren und 20 000 Informatikern die Zahl der Absolventen derzeit nicht mehr die Zahl der ausscheidenden Fachkräfte erreicht (90 zu 100). Doch auch hier gilt: Der Anteil der durch vertiefte Ausbildung Qualifizierten liegt in Deutschland über dem Durchschnitt.Der durch die Studie erneut festgestellte Mangel an Ingenieuren schlägt sich mittlerweile offenbar auch in der Fächerwahl der Studenten nieder. So meldet die Technische Universität Kaiserslautern für das Wintersemester einen Anstieg der Einschreibungen um knapp 16 Prozent. Allein im Bereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik gab es einen Zuwachs von mehr als 40 Prozent. extra Rheinland-Pfalz - wenig Geld für viele Studenten: Rheinland-Pfalz hat überdurchschnittlich viele Studenten, steckt aber pro Schüler und Nachwuchs-Akademiker bundesweit am wenigsten in die Bildung. Das zeigt ein von den statistischen Landesämtern parallel zur OECD-Studie vorgelegter Ländervergleich. Das Gesamtbild der rheinland-pfälzischen Bildungslandschaft ist durchwachsen: Gute Noten bei der vorschulischen Bildung, mit die besten Quoten bei Studienanfängern und Absolventen, aber die rote Laterne im Ländervergleich bei den Hochschulausgaben pro Kopf. Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) verweist dabei vor allem auf den hohen Anteil an nicht so kostenintensiven geistes-, rechts- und erziehungswissenschaftlichen Studienfächern. Aus Sicht der CDU-Opposition fehlt dagegen den Hochschulen das Geld an allen Ecken und Enden. Insgesamt stehe Rheinland-Pfalz allenfalls "ein bisschen weniger schlecht da" als andere Bundesländer. Die Landesdaten konkret: Studienanfänger: Rund 38 Prozent eines Jahrgangs beginnen in Rheinland-Pfalz ein Studium. Das sind knapp zwei Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Höher liegt der Anteil in Hessen (43) und Baden-Württemberg (39). Hochschulabsolventen: Jeder Fünfte schließt eine akademische Ausbildung ab. Mit einer Absolventenquote von 20,4 Prozent liegt Rheinland-Pfalz mit leichtem Vorsprung vor Hessen und Baden-Württemberg bundesweit auf dem Spitzenplatz. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 36,4 Prozent. Studienfächer: Die Hochschulen im Land haben ihre Schwerpunkte vor allem in den Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften. Bei den Abschlussquoten in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern wird mit 25 Prozent lediglich der zweitniedrigste Wert erreicht (OECD-Durchschnitt). Bundesweit liegt der Wert bei 33 Prozent. Bildungsausgaben: Mit 6400 Euro im Jahr pro Schüler oder Student liegt Rheinland-Pfalz am Schluss der Länder-Tabelle. Der bundesweite Schnitt liegt bei 7000 Euro. Hamburg gibt 8700 Euro aus. Rechnet man die Studenten getrennt, reicht es für Rheinland-Pfalz mit 9300 Euro auch nur für den letzten Rang. Student/Hochschullehrer: Ein Hochschullehrer hat in Rheinland-Pfalz 16 Studenten zu betreuen. Damit ist die Relation die schlechteste im Vergleich und liegt fast doppelt so hoch wie im Saarland mit eins zu acht (Bundesdurchschnitt 1:12). Vorschul-Betreuung: Rund 92 Prozent der Drei- und Vierjährigen besucht in Rheinland-Pfalz eine Kindertagesstätte. Das ist der höchste Anteil im gesamten Bundesgebiet. Deutschlandweit liegt die Zahl bei knapp 79 Prozent, in den OECD-Ländern bei 68,5 Prozent. Klassengrößen: Die Klassengrößen bewegen sich mit 22 (Grundschule) und 25 Schülern (Klasse fünf bis zehn) im Bundesdurchschnitt. Die Betreuungsrelation liegt allerdings in der Sekundarstufe I mit 17 Schülern je Lehrer ungünstiger als im bundesweiten Schnitt von 15,5. (win)

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