"Meine kleine blöde Hand"

Seit der Geburt ihres jüngsten Kindes kämpft Familie Lang aus dem Morbacher Ortsteil Odert mit ihrer Krankenkasse, dass sie Kosten von Behandlung und Hilfsmitteln für das schwerstbehinderte Kind übernimmt. Vergeblich. Als sich der TV einschaltet, zeigt die Kasse zumindest Entgegenkommen.

Odert. Leon-Raphael ist ein freundliches Kind. Es kommt auf den Besucher zu, lächelt ihn an. "Hallo", sagt der Zweijährige. Auf den ersten Blick ein ganz normaler Junge, der bald in den Kindergarten geht. Aber eben nur auf den ersten Blick. Leon-Raphael ist schwerstbehindert - von Geburt an. Die Hand und seine Hüfte sind deformiert, das linke Bein ist trotz zahlreicher Operationen, die der Kleine bereits hinter sich hat, kürzer. Poland-Syndrom nennt sich die äußerst seltene Krankheit. Vor zwei Jahren hat der Trierische Volksfreund das erste Mal über das Schicksal von Leon-Raphael berichtet. Zahlreiche Leser haben den Eltern, Kerstin und Ralf Lang aus dem Morbacher Ortsteil Odert, ihre Hilfe angeboten, haben Geld gespendet. Denn obwohl Leon-Raphael behindert ist, stuft ihn die Krankenkasse nicht als pflegebedürftig ein. Die Betreuung des Kleinen sei nicht aufwendiger als die für einen gesunden Gleichaltrigen, habe man ihnen mitgeteilt, sagt Kerstin Lang.

Die 29-Jährige ist mit den Nerven am Ende. Wenn sie über ihren Sohn spricht, schießen ihr sofort die Tränen ins Gesicht. Dabei sollte Leon-Raphael das Familienglück perfekt machen. Bis zur Geburt ihres dritten Kindes hat Kerstin Lang nichts von dessen Behinderung gewusst. Seitdem dreht sich bei den Langs alles um Leon-Raphael. Die beiden anderen Geschwister, Lara-Marie, 7, und Lars, 11, litten mittlerweile darunter, sagt die Mutter. "Die kommen immer zu kurz", sagt Vater Ralf.

Vor allem der Ärger mit der Krankenkasse zehrt an den Nerven. "Die wissen gar nicht, was sie uns damit antun", sagt Kerstin Lang weinend. Kosten für eine Spezialoperation der Hand, mit der zwei Finger geformt worden sind, damit der Kleine damit greifen kann, hat die AOK nicht übernommen. 4000 Euro hat die Behandlung gekostet. Auch die Fahrten zur Kinderklinik nach Mainz, wo der Junge von einem Spezialisten behandelt wird, bezahlt die Kasse nicht regelmäßig. Ein Freund fährt die Mutter und ihren Sohn in die Landeshauptstadt. Der dringend benötigte Toilettensitz, ohne den Leon-Raphael nicht selbstständig auf die Toilette gehen kann, ist zunächst abgelehnt worden, genauso wie der Badewannensitz. Ohne ihn kann der Junge nicht alleine in der Badewanne sitzen. Kerstin Lang behilft sich mit einem Kindercampingstuhl, den sie unter die Dusche stellt. "Gegenstände des täglichen Lebens", schreibt die AOK in ihrem Bescheid, seien von der Förderung ausgeschlossen. "Uns geht es doch gar nicht ums Geld", sagt die Mutter. "Wir wollen nur, dass es Leon-Raphael gutgeht, dass er sich nicht quälen muss."

Der Zweijährige kann nur mit einer Beinschiene laufen. Die Treppe in dem neuen Einfamilienhaus kommt er aber nicht hinauf und hinunter. "Eigentlich müssten wir das ganze Haus behindertengerecht umbauen", sagt Ralf Lang. "Wo sollen wir das Geld dafür hernehmen?" fragt der 42-Jährige. Er fühlt sich von der Krankenkasse im Stich gelassen. "Warum bezahle ich jeden Monat meine Beiträge? Wenn man sie braucht, helfen sie einem ja doch nicht."

Der Arzt hat für Leon-Raphael einen Spezial-Buggy empfohlen, weil der Junge keine weiten Strecken laufen kann. In einem normalen Buggy habe die Hüfte des Jungen zu wenig Halt, sie würde noch weiter deformiert, habe der Arzt gesagt, erzählt die Mutter. 3000 Euro kostet die Spezialanfertigung. Die Langs haben einen Gebrauchten gefunden, der speziell für Leon-Raphael angepasst worden ist. 350 Euro soll er kosten. Doch die AOK übernimmt auch diese Kosten nicht. Nach einem Gutachten des Medizinischen Dienstes (MDK) reiche ein normaler Buggy aus, sagt der Chef der AOK-Bezirksgeschäftsstelle in Trier, Hermann-Josef Huggenberger, auf TV-Anfrage. Es sei noch genügend Eigenkoordination bei dem Jungen vorhanden, daher brauche er keine Spezialanfertigung. Kerstin Lang ist sauer. "Leon-Raphael schreit doch jetzt schon oft vor Schmerzen, weil ihm die Hüfte wehtut. Ich kann ihn doch nicht immer nur schleppen. Das hält mein Kreuz nicht aus."

Nachdem der TV sich eingeschaltet hat, lenkt die AOK immerhin beim Toilettensitz und beim Badewannensitz ein. Diese seien nun genehmigt worden, sagt der Bezirkschef der Krankenkasse.

Doch die nächste schlechte Nachricht erreicht die Langs schon kurze Zeit später. Aufgrund der ständigen Belastung ist Leon-Raphaels linkes Knie schon völlig abgenutzt. Die nächste OP steht womöglich an. Wieder muss Kerstin Lang weinen.

Auch dem Jungen vergeht immer öfter sein Lachen. Immer dann, wenn er mit seinen Geschwistern am Tisch im großen Wohnzimmer sitzt und mit Messer und Gabel essen will. Doch mit den nachgeformten Fingern an der linken Hand kann er die Gabel nicht halten. Nicht selten fliegt dann das Besteck durchs Zimmer. "Meine kleine blöde Hand", schimpft der Zweijährige und weint.

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