"Meine Zeit war zu Ende"

Joschka Fischer, der Irakkrieg und seine Sehnsucht nach Helmut Kohl: In seinem neuen Buch, das er gestern in der Berliner Akademie der Künste vorgestellt hat, gibt der Ex-Außenminister Bekanntes und Überraschendes zum Besten.

Berlin. Joschka Fischer hat wieder ordentlich zugelegt. Und auch sonst scheint er ganz der Alte zu sein. Als der Ex-Außenminister im weiten schwarzen Wintermantel aus dem Fahrstuhl steigt, wird eifrig gefrotzelt. "Das ist ja wie beim Parteitag", ruft Fischer den Medienkollegen zu. Die meisten von ihnen waren tatsächlich schon Augenzeugen gewesen, als der grüne Übervater der Parteibasis noch wortgewaltig die Widerspenstigkeit auszutreiben suchte. Diesmal ist alles entspannter. Fischer ist gekommen, um den zweiten Teil seiner Memoiren zu präsentieren. Ob er in dem gut 370 Seiten dicken Buch Fußnoten verwendet hat? Mitnichten, grinst Fischer den Fragesteller ahnungsvoll an: "Deshalb stelle ich es ja auch in der Akademie der Künste vor und nicht in der Akademie der Wissenschaften" - die Plagiatsvorwürfe gegen Wehrminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) lassen grüßen.

Das erste Erinnerungs-Buch war bereits im Jahr 2007 erschienen. Darin behandelt Fischer die Zeit von der rot-grünen Regierungsübernahme bis zum 9. September 2001. Mit eben diesem Tag, an dem der Terrorangriff auf das New Yorker World Trade Center die Welt veränderte, beginnt nun die aktuelle Fortsetzung. "I am not convinced" (ich bin nicht überzeugt) ist das Buch überschrieben. Den fast schon geflügelten Ausspruch hatte Fischer kurz vor Ausbruch des Irak-Krieges im Frühjahr 2003 seinem US-Außenamtskollegen Donald Rumsfeld entgegengehalten. Auch dessen Memoiren sind gerade erst auf den Büchermarkt gekommen. Aber er habe sie nicht gelesen, stellt Fischer klar. Schließlich gebe es schon genug Abhandlungen zur Rechtfertigung dieses Krieges.

Dass es zwischen Fischer und Kanzler Gerhard Schröder damals einige Reibereien gab, weil der SPD-Mann ausgerechnet in einer Wahlkampfrede ein deutsches Ja zu einer UN-Kriegsresolution ausgeschlossen hatte, ist freilich auch nicht neu. Fischer war zwar genauso gegen diesen Krieg, verabscheute aber eine Alles-oder-Nichts-Situation, die Deutschland auf dem internationalen diplomatischen Parkett hätte isolieren können. In Fischers Buch wird die ganze Dramatik des Konflikts mit Schröder ausgebreitet: Die Fronten hätten sich zunehmend verhärtet und "gipfelten in gegenseitigen Rücktrittsdrohungen", erinnert sich der damalige Vizekanzler.

Nur Lob für die rot-grüne Phase



Ansonsten, wen wundert`s, weiß Fischer fast nur Lobendes über die rot-grünen Rest-Regierungsjahre zu sagen. Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, Zuwanderungsdebatte, Neuausrichtung der Energie-Politik und selbstverständlich die Agenda 2010 - Gerhard Schröder habe eine "große Kanzlerschaft" hingelegt. Bei allem "Chaos", was es gab, setzte man auf "Gestaltung" und nicht auf "Verwaltung der Macht", schwärmt Fischer. Von diesem Vorsatz ist die aktuelle Politik nach seinem Geschmack viel zu wenig beseelt. Auch das passt ins Weltbild des heute 62-Jährigen. Nach ihm komme nur noch die "Playback-Generation", hat er einmal verächtlich gesagt. Auf die Frage, wer denn von den aktiven Politikern in Berlin bei ihm Gnade finde, flüchtet sich Fischer in Allgemeinplätze. "Mich interessiert vor allem Europa". An dieser Stelle schimmert auch viel Altersmilde durch. Was hatte sich Fischer früher an dem Europäer Helmut Kohl abgearbeitet. "Breit und selbstzufrieden wie Buddha", lästerte er über den Pfälzer. Jetzt lässt sich der einstige Revoluzzer und Steinewerfer in Interviews damit zitieren, "was für ein Jammer es ist, dass Helmut Kohl nicht mehr da ist".

Und Fischer selbst? "Meine Zeit war zu Ende", sagt er mit Blick auf die verlorene Bundestagswahl 2005. Sechs Bücher hat er in den letzten zwei Jahrzehnten geschrieben. Am erfolgreichsten war "Der lange Lauf zu mir selbst". Nun ist er offenbar angekommen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Grünen-Fraktionssprecher Dietmar Huber betreibt Fischer in Berlin eine erfolgreiche Beratungsfirma. Zu den Kunden gehören BMW, Siemens und RWE. Außerdem ist Fischer immer noch ein gefragter Gesprächspartner und Vortragsreisender. Ein weiteres Buch werde es definitiv nicht mehr geben, sagt er und entschwindet in den Fahrstuhl.

Joschka Fischer: "I am not convinced". Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre. Kiepenheuer& Witsch. 22,95 Euro

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