Meinung Kein Verständnis für die Warnstreiks

Die Tarifforderung für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen ist maßlos und die Warnstreiks sind es erst recht. Erst schließt das Virus die Kitas, jetzt die Gewerkschaft.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Da fehlt es stark an Gefühl für die aktuelle Situation und an Empathie für die vom Ausstand Betroffenen.

Man kann das Gerede nicht mehr hören, es müssten jetzt die „Helden des Alltags“ belohnt werden. Dann soll man doch für diese ziemlich kleine Gruppe, also für die Mitarbeiter der Gesundheitsämter, die Müllwerker oder die wenigen Erzieher, die während des Shutdowns im Notdienst waren, gezielt Höhergruppierungen und Zuschläge aushandeln. Verdi und der Beamtenbund aber wollen 4,8 Prozent mehr für alle. Auch für die vielen Verwaltungsangestellten, die über Monate im so genannten Homeoffice und für niemanden erreichbar waren. Und zwar meist ohne Lohnabzug, wie ihn Millionen andere Arbeitnehmer in Kurzarbeit erlebten und noch erleben. Nicht alle Verwaltungen haben in der Krise Ruhmestaten vollbracht. Warum wurde die Zeit der Schulschließungen nicht für Sanierungsarbeiten genutzt, warum der Berg an Anträgen anderer Art nicht abgearbeitet, als es keinen Publikumsverkehr mehr gab? Profitieren sollen von der Tariferhöhung auch die Beamten und Pensionäre, übrigens auch die Minister, denn der Abschluss wird auf sie erstreckt.

Das „Helden“-Argument ist in Wirklichkeit der Versuch einer großen Gruppe, von den Leistungen einer kleinen abzustauben. Im Übrigen: Die meisten „Helden“ arbeiten außerhalb des Öffentlichen Dienstes. Sie streiken nicht. Etwa die Verkäufer in den Supermärkten oder die Paketzusteller. Dass Verdi gerade auch für die Postbediensteten um kräftige Lohnerhöhungen kämpft, ist deshalb richtig.

Der eben abgeschlossene neue Tarifvertrag bei der Bahn weist in Zeiten wie diesen den Weg auch für die Staatsdiener: Kaum mehr als ein Inflationsausgleich, dafür die Garantie, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen und weiterhin einen Einstellungskorridor gibt. Sicherheit vor Geld. Im öffentlichen Dienst ist zusätzlich die schnellere Angleichung der Arbeitszeit im Osten ein legitimes Ziel. Ansonsten sollten die beteiligten Gewerkschaften nicht so tun, als lebten sie auf einem anderen Corona-Planeten als alle anderen, nur weil der Staat, anders als die Wirtschaft, die Möglichkeit hat, seine Mindereinnahmen mit Schulden zu decken.

Es war schon oft anders – aber diesmal gibt es kein Verständnis für die Gewerkschafter, die mit ihren Trillerpfeifen große Not beklagend nun durch die Fußgängerzonen ziehen, statt zu arbeiten. Diese Warnstreiks kommen angesichts der Lage viel zu früh und viel zu hart. Natürlich tragen auch die Arbeitgeber Verantwortung für die Situation. Sie haben bisher kein Angebot vorgelegt. Solche Zeitspielchen sollten sie sich in der derzeitigen Lage der Nation ebenso verkneifen, wie die Gewerkschaften sich ihre Drohgebärden. Das zu erwartende Ergebnis ist die ganze Streikerei nicht wert.

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