Flutkatastrophe Vertuschungsvorwürfe: Minister Lewentz soll sich heute im Landtag erklären

Mainz · Am heutigen Mittwoch muss sich Roger Lewentz dem Landtag stellen. In einer Sondersitzung des Parlaments soll er Antworten auf die Vertuschungsvorwürfe liefern. Bisherige Begründungen des Innenministeriums werfen allerdings neue Fragen auf.

Minister Lewentz wird am Mittwoch im RLP-Landtag zu Vertuschungsvorwurf Stellung nehmen ​
Foto: dpa/Arne Dedert

Viele offene Fragen, viele Vorwürfe wird sich Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Mittwoch anhören müssen. In der Landtagssitzung soll es am Nachmittag mehrere Stunden allein um seine Person gehen. Um seine Verantwortung während der Flutkatastrophe - und im Nachgang. Seit Wochen stehen schwere Anschuldigungen bis zur Vertuschung im Raum. Plausible Antworten konnte Lewentz bislang kaum liefern. Alle aktuellen Entwicklungen können Sie auch in unserem Liveticker zur Pressekonferenz, in der Lewentz eine Erklärung abgeben will, verfolgen.

Wieso fehlten wichtige Dokumente des Innenministeriums im Untersuchungsausschuss?

Seit drei Wochen tauchen immer wieder wichtige Dokumente zur Flutkatastrophe auf, die das Innenministerium dem Untersuchungsausschuss für seine Aufklärungsarbeit zuvor nicht zur Verfügung gestellt hatte. Dazu zählen die monatelang verschwundenen Hubschraubervideos aus der Flutnacht. Genauso verhält es sich mit einem Einsatzbericht der Hubschrauberbesatzung ebenso wie mit einem Lagebericht der Polizei Koblenz, die beide eine katastrophale Situation in der Nacht geschildert hatten. Das Innenministerium erklärte das Fehlen der Dokumente auf Nachfrage Anfang der Woche recht schlicht. Bei der Vorbereitung auf die Vernehmung im Untersuchungsausschuss sei Mitarbeitern aufgefallen, dass eben jene beiden Dokumente nicht an den Ausschuss geliefert worden seien. Daraufhin hatte das Innenministerium die Akten kürzlich nachgeliefert.

War das jetzt Vertuschung von Beweisstücken?

Laut der Erklärung des Innenministeriums wäre das Fehlen der Dokumente also ein Versehen, eine Panne gewesen, die nun korrigiert wurde. Doch die Begründung wirft gleich mehrere Fragen auf und entkräftet den Vorwurf der Vertuschung bislang nicht. Sowohl bei den Flutvideos als auch den beiden Mails handelt es sich nicht um irgendwelche Dokumente. Sie sind zentral für die Bewertung des Verhaltens im Innenministerium in der Flutnacht. Und Videos wie Mails torpedieren die bisherige Argumentationsstrategie des Innenministeriums, man habe kein vollständige Bild von der Lage gehabt ebenso wie, dass es sich um ein punktuelles Ereignis gehandelt habe. Videos wie Mails schildern eindrücklich die katastrophalen Zustände im gesamten Ahrtal. Dass Mitarbeitern erst jetzt rein zufällig genau jene Dokumente aufgefallen sein sollen, ist zumindest unwahrscheinlich. Zudem erscheint merkwürdig, dass der Staatsanwaltschaft der Flugbericht des Hubschraubers schon seit Februar vorlag, dem Ausschuss nicht. Die nun aufgetauchten Mails mit Flug- und Lagebericht hätten aber gleich mehrfach auch in diesen Akten auftauchen müssen. Denn nicht nur das Innenministerium war zur Abgabe der Dokumente verpflichtet, sondern auch die Polizei selbst. Beide hatten offenbar dieselben wichtigen Berichte nicht geliefert. „Von einer bewussten Vorenthaltung von Dokumenten kann nicht die Rede sein“, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums am Dienstag auf Nachfrage unserer Redaktion.

Gibt es womöglich noch weitere Akten, die das Innenministerium nicht geliefert hat?

Man habe die Dokumente für den Ausschuss nach bestem Wissen und Gewissen aufbereitet und geliefert, sagte eine Sprecherin des Ministeriums am Dienstag dem TV. „Die Vollständigkeit der Akten wurde im Innenministerium auf verschiedenen Ebenen bestätigt“, heißt es. Die Opposition kann das kaum glauben und zweifelt an, dass es nicht noch mehr vorenthaltene Dokumente geben könnte. „Wie kann es sein, dass gleich drei Stellen diese brisanten E-Mails nicht fristgerecht vorgelegt haben?“, fragt Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler im Ausschuss. Die Ministerien und ihre untergeordneten Behörden unterzeichneten sogar eigens eine Vollständigkeitserklärung. Wefelscheid will diese Erklärungen von der Landesregierung nun haben und sehen, wer sie unterzeichnet hat. Dazu wolle er prüfen, welche rechtlichen Konsequenzen es für die Landesregierung haben könnte, gegen diese Erklärung verstoßen zu haben.

Inwiefern hat all das die Aufklärung behindert?

Die Aufklärungsarbeit im Ausschuss hätte mit den neuen Flutvideos und Mails komplett anders laufen können - ob das nun Vorsatz war oder nicht. Die Opposition hätte Zeugenvernehmungen - unter anderem die von Lewentz selbst - mit einem völlig anderen Kenntnisstand betreiben können. Klar ist also, dass die Aufklärungsarbeit massiv behindert wurde. Ähnliches gilt für die ermittelnde Staatsanwaltschaft, die bis vor kurzem ebenfalls nicht über die Videos verfügte.

Hält Dreyer noch zu Lewentz?

Malu Dreyer hielt sich bislang bedeckt mit Äußerungen zur Aufarbeitung und zur Flutkatastrophe selbst. Vergangene Woche noch hatte sie dem Innenminister den Rücken gestärkt. Nach den neuerlichen Vorwürfen klang das am Montag etwas anders. In ungewohntem Ton ließ sie mitteilen, dass sie vom Innenminister erwarte, dass die offenen Fragen geklärt werden. Nach dem Statement wollte die Staatskanzlei allerdings beschwichtigen und erklärte, man solle dies nicht als Distanzierung gegenüber Lewentz verstehen. Unmissverständliche Kritik aus den eigenen Reihen kam hingegen vom Ausschussvorsitzenden Martin Haller (SPD). Der „Rheinpfalz“ sagte er, die verzögerte Vorlage sei „irritierend und inakzeptabel“. Lewentz selbst hatte Rücktrittsforderungen indirekt eine Absage erteilt.

Was sagen eigentlich Grüne und FDP zu den Vorwürfen?

Die Ampel-Koalitionsparteien halten sich vor der Landtagssitzung am Mittwoch zurück mit öffentlicher Kritik am SPD-Landesvorsitzenden Lewentz. Bei beiden Parteien klingt die Stellungnahme dann ähnlich. „Wir vertrauen darauf, dass Innenminister Lewentz den Umstand der verspäteten Vorlage aufklärt und das Parlament sowie die Öffentlichkeit darüber informiert“, sagte FDP-Fraktionschef Philipp Fernis dem TV. Offenbar sei im Innenministerium eine „verwaltungstechnische Panne“ aufgetreten. Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun habe die Erwartung, „dass das Innenministerium auch die noch offenen Fragen aufklären wird“. Der Arbeit des Parlaments und des Ausschusses wolle man nicht vorgreifen, sagte er dem TV.

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