Mit Bauplan und Zollstock in die Zukunft auf dem Land

Trier · Weniger Bürger brauchen auch weniger Infrastruktur. Der Aachener Professor für Stadtentwicklung, Dirk Vallée, plädiert im TV-Interview für eine bedarfsorientiere Siedlungsentwicklung. Trotz des demografischen Wandels hätten aber auch kleinere Gemeinden eine Überlebenschance, sagt er.

Trier. Statt jeder für sich eine Strategie gegen den Bevölkerungsschwund zu entwickeln, sollten sich Gemeinden auf dem Land zusammenschließen und gemeinsame Stadtentwicklung betreiben. Das fordert der Professor für Stadtbauwesen und Stadtverkehr von der Technischen Hochschule Aachen. Mit ihm sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

Herr Vallée, haben - wie es Demografen prognostizieren - nur noch Städte eine Zukunft? Sterben die Dörfer in der Eifel aus?
Vallée: So einfach, glaube ich, kann man es nicht sagen. Klar ist: In der mittleren Zukunft werden wir weniger junge und mehr alte Menschen haben. Man muss das im Zusammenhang sehen: Wo wohnen diese, wo arbeiten sie, wo gibt es Kindergärten, Schulen, Arztpraxen? Diese weitverzweigte Infrastruktur, die wir heute haben, kostet eine Menge Geld.
Und das bedeutet?
Vallée: Dass man sich aus den genannten Gründen sehr gründlich überlegen muss, wo man noch Siedlungsentwicklung betreibt. Es spricht einiges dafür, das in den Städten und Mittelzentren zu machen, weil dort die Infrastruktur bereits besteht und gut ausgelastet ist. Damit kann man sie kostengünstig betreiben. Es besteht aber auch die Chance für das Land, an zentral gelegenen Orten eine solche Infrastruktur aufrechtzuerhalten, damit die Wege nicht zu weit werden.
Konkret: Was können, was müssen kleine Orte tun, um dem demografischen Wandel zu trotzen?
Vallée: Man kann nicht dem demografischen Wandel trotzen, dafür müsste sich die Geburtenrate verdoppeln. Wir müssen uns vielmehr den Gegebenheiten anpassen, genau, wie wir uns dem Klimawandel anpassen. Der Königsweg wird sein, mit den Nachbarn zu kooperieren, etwa bei Schulen oder auch Arztpraxen. Die Frage, welche Infrastruktur ich wo aufrechthalte, muss sich viel mehr an der Erreichbarkeit orientieren. Es bringt nichts, wenn jeder Ort das nur für sich betrachtet. Leider lassen viele Kommunen die Entwicklung auf sich zukommen und reagieren viel zu spät.
Wie sehen Sie dafür die Chancen in unserer Region?
Vallée: Der Schlüssel zum Erfolg ist, miteinander zu reden und zu kooperieren. Im nordrhein-westfälischen Teil der Eifel macht man sich bereits auf den Weg und überlegt, was demografischer Wandel für ländliche Gebiete bedeutet. Das Ziel wird sein, Schulverbände zu gründen, also mehrere Schulen zu einer großen zusammenzuschließen. Oder in Dorfgemeinschaftshäusern Behandlungszimmer für den reisenden Landarzt einzurichten, wo dieser jeden zweiten Tag Station macht.
Ländliche Regionen haben also eine Überlebenschance?
Vallée: Ja. Die Entscheidungsträger müssen sich aber rechtzeitig auf den Weg machen. Und zwar jetzt. In zehn Jahren haben wir keine Entwicklungsspielräume mehr. Dann kann man allenfalls noch reagieren, jetzt kann man aber noch agieren.
Wer sich also jetzt noch ein Häuschen auf dem Land kauft, hat noch Perspektiven?
Vallée: Jein. Falls die Gemeinde richtig reagiert, hat man schon Perspektiven. Ansonsten besteht das Risiko, dass man mit im sinkenden Boot sitzt. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass die Mobilitätskosten, also etwa die Spritpreise, weiter steigen werden. Auch wenn das Häuschen auf dem Land im Moment sehr günstig erscheint, muss man die Gesamtkosten betrachten.
Heißt das, dass Bürger in aussterbenden Dörfern auch höhere Gebühren etwa für Wasser zahlen müssen, weil die Kosten künftig auf immer weniger Zahler umgelegt werden?
Vallée: Ganz klar: Ja. Da die festen Kosten, also die Betriebskosten zum Beispiel für Kläranlagen, Wasserwerke und für die Leitungen bestehen bleiben, müssen diese auf weniger Leute umgelegt werden. Das führt unausweichlich zu ansteigenden Kosten. Auf dem Land ist dieser Effekt spürbarer, weil dort durch längere Leitungen die festen Kosten höher sind.Extra

Dirk Vallée (47, Foto: privat), ist Professor für Stadtbauwesen und Stadtverkehr an der Technischen Hochschule Aachen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. wie

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