Mit dem Wellensittich in der Wohnzelle

Mainz · Am Streitthema Sicherungsverwahrung hängt nicht nur eine höchst heikle Diskussion um den Schutz vor Gewalttätern. Es geht auch um millionenschwere Investitionen in Rheinland-Pfalz.

Mainz. Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai dieses Jahres dürfen Menschen in Sicherungsverwahrung nicht wie Häftlinge untergebracht und behandelt werden ("Abstandsgebot"). Sie haben ihre Strafe abgesessen, und die Freiheit wird ihnen verwehrt, weil von ihnen weiter eine Gefahr für die Gesellschaft ausgeht.
Bis Ende Mai 2013 muss der Bund die Sicherungsverwahrung und den Umgang mit den Risiko-Tätern auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen. Danach sind die Bundesländer für den Vollzug zuständig. Und der ist aufwendig.
Rheinland-Pfalz will auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt in Diez (Rhein-Lahn-Kreis) ein neues Gebäude für Menschen in Sicherungsverwahrung errichten. Für den Neubau sind 16,5 Millionen Euro eingeplant. Immerhin steuert auch das Saarland einen Millionenbetrag bei, da es die Einrichtung mitnutzen wird.
Häftlinge und Sicherheitsverwahrte sollen ab 2013 hinter denselben Mauern, aber unter anderen Bedingungen leben. Die Zellen der bis zu 60 Risiko-Täter sind 18 statt 11 Quadratmeter groß und individuell eingerichtet. Die Bewohner dürfen Kleintiere halten - etwa einen Wellensittich. Es gibt einen Fernseh-, einen Sport- und einen Spieleraum, Besuchsgelegenheiten für Familien und einen Außenbereich mit Teich, Sport-, Boule- und Grillplatz. Dazu kommt eine intensive therapeutische Betreuung, soweit die Insassen dazu fähig sind. Viele weisen schwere psychische Störungen auf. "Insgesamt liegt Rheinland-Pfalz mit der geplanten Ausstattung im Durchschnitt", sagt Staatssekretärin Beate Reich (SPD).
Derzeit befinden sich in Rheinland-Pfalz 43 Männer in Sicherungsverwahrung. Bei neun von ihnen liegen die Haftstrafen länger als zehn Jahre zurück. Nach dem BVG-Urteil darf jemand nach dieser Zeitspanne weggesperrt werden, wenn er hochgefährlich und schwer gestört ist. Über solche Altfälle entscheiden nach derzeitiger Rechtslage in erster Instanz die Landgerichte und in zweiter Instanz ein Strafsenat am Oberlandesgericht in Koblenz. Dabei können sich jederzeit die Gefängnistore für einen Häftling öffnen. Und je nach Risiko muss der Freigelassene dann teilweise oder gar komplett überwacht werden. DB

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort