Mit Tempo 120 zum Sozialismus

Berlin · Die Linke will sich die Verstaatlichung von Banken und ein Tempolimit auf allen Autobahnen auf die Fahnen schreiben. Das sieht der Entwurf für das erste Programm der vier Jahre alten Partei vor.

Berlin. "Selbstverständlich" sei er für ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen, erklärte Linksparteichef Klaus Ernst. Aus dem Munde eines bekennenden Porsche-Fahrers klingt das zwar reichlich seltsam. Doch so steht es nun einmal im Entwurf für das Grundsatzprogramm seiner Partei. Und das soll nach den monatelangen internen Quererlen so etwas wie ein linker Friedensvertrag werden.
Bei der entscheidenden Abstimmung im Vorstand votierten immerhin 37 Genossen dafür, nur zwei dagegen, einer enthielt sich. So viel Harmonie hatte selbst Ernst nicht erwartet. "Das ist ein Meilenstein auch für das Zusammenwachsen unser Partei", schwärmte er gestern bei der offiziellen Vorstellung des knapp 40 Seiten langen Papiers.
Die erste Version war schon im März 2010 entstanden. Damals noch unter der Federführung von Oskar Lafontaine, der sich kurz darauf aus gesundheitlichen Grünen vom Parteivorsitz zurückzog. Der Saarländer hatte das Papier mit viel klassenkämpferischer Rhetorik gespickt, was vor allem den Pragmatikern im Osten gegen den Strich ging. Im neuen Entwurf lesen sich manche Passagen geschmeidiger. Das Grundprofil wurde allerdings kaum verwässert. So kämpft die Linke weiter für einen gesellschaftlichen "Systemwechsel", weil der Kapitalismus "auf Ungleichheit, Ausbeutung, Expansion und Konkurrenz beruht". Co-Parteichefin Gesine Lötzsch sprach von der Verknüpfung dreier Grundideen im Programm: der Schaffung einer solidarische Gesellschaft, der sich die Wirtschaft unterordnen müsse, wobei diese beiden Ziele nur in einem demokratischen Prozess erreicht werden könnten, der dann zum "demokratischen Sozialismus" führe. Nachdem mehrere Parteimitglieder mit anti-israelischen Parolen für heftige Auseinandersetzungen gesorgt hatten, wurde praktisch in letzter Minute noch eine Passage über das unverrückbare Existenzrecht Israels eingefügt.
Nachfolgend die wichtigsten programmatischen Aussagen:
Geschichte: Der Vorstand der Linken hatte lange über den Stellenwert des Stalinismus gestritten. Nun wird eine Formulierung wiederholt, die schon eine ihrer Vorgängerparteien, nämlich die SED/PDS, im Herbst 1989 gebraucht hatte: "Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System." Gemeint ist damit nicht nur eine historische Epoche, sondern auch die Tatsache, dass ein ganz kleiner Personenkreis mit einer uneingeschränkten Machtfülle ausgestattet war. In der DDR ist deshalb aber nicht alles schlecht gewesen: Es habe "großartige Filme, Romane, bildende Künste, Musik und eine engagierte Vermittlung von Kunst, Kultur, Bildung in die Bevölkerung" gegeben, heißt es in dem Entwurf.
Eigentumsfrage: Verstaatlichung wird großgeschrieben. Das gilt für die Banken genauso wie für "strukturbestimmende Großbetriebe" wie etwa die vier großen Energieunternehmen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall. Zugleich plädiert der Entwurf für Belegschaftseigentum, um den Beschäftigten mehr Einfluss auf betriebliche Entscheidungen zu geben.
Regierungsbeteiligungen: Die Linkspartei werde sich nicht an Regierungen beteiligen, "die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen und Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des öffentlichen Dienstes verschlechtert". Über die letzte Teilpassage wurde ebenfalls hart gerungen. Bei Lafontaine hieß es noch, man werde keine Regierung stützen, die Sozial- und Arbeitsplatzabbau betreibt. Die neue Formulierung kommt den Realos entgegen, weil der Personalbestand im öffentlichen Dienst schon aus demografischen Gründen vor allem im Osten kaum haltbar ist.
Außenpolitik: Die UNO bleibt für die Linke das wichtigste Instrument zur internationalen Streitbeilegung. Gefordert werden die Auflösung der Nato und stattdessen "ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands".
Sowohl der linke Flügel als auch die Partei-Pragmatiker lobten den gefundenen Kompromiss. Linken-Vize Sahra Wagenknecht sprach von einem Papier mit "deutlich antikapitalistischem Profil". Für André Brie, einen prominenten Vertreter des Realo-Flügels, ist das Papier "ein großer Schritt vorwärts". Die eigentliche Herausforderung bestehe aber darin, "Politik daraus zu machen und auf dieser Grundlage auch die persönlichen und ideologischen Querelen in der Partei zurückzustellen", sagte Brie unserer Zeitung.
In den kommenden Monaten soll der Programmentwurf von der Basis diskutiert werden. Die Beschlussfassung ist für Ende Oktober auf einem Bundesparteitag vorgesehen.

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