"Modern hat nichts mit Alter, sondern mit Horizont zu tun"

Ihre Familie bezeichnet sie als lebenslustig und geländegängig. Sie selbst schätzt an Menschen besonders Verlässlichkeit. Im Volksfreund-Interview spricht die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner über ihr politisches Selbstverständnis und erklärt, warum sie die Sexismusdebatte wichtig findet.

Frau Klöckner, es ist Fastenzeit. Wann haben Sie Ihr letztes Gummibärchen gegessen?

Klöckner: Das war am Dienstag, damit ist erstmal Schluss. Bis Ostern verzichte ich zudem auf Alkohol. Das macht die Kanzlerin übrigens auch. Dann leiden wir gemeinsam, wenn wir uns bei einem Empfang sehen. Die Fastenzeit nutze ich jedes Jahr, um mich selbst zu prüfen, ob ich konsequent auf etwas verzichten kann.

Welchen Sinn macht für Sie diese doch sehr konventionelle Form des Verzichts?

Klöckner: Ich möchte für mich herausfinden, ob ich jenseits der Arbeit auch mit den Kleinigkeiten des Alltags, mit Selbstverständlichkeiten, diszipliniert umgehen kann. Erst im Mangel erkennt man oft den Wert der Dinge, auf die ich mich dann im Anschluss wieder freuen kann.

Sie arbeiten gerne mit Symbolen. Zum Mainzer Fernsehkarneval kamen Sie als fleischgewordenes soziales Netzwerk. Die Botschaft, ich interpretiere frei: Seht her, ich bin jung und modern, während die Landesregierung noch nicht einmal mediengerecht mit Facebook umgeht. Was sind Sie noch?

Klöckner: Jung sein ist allein noch kein Qualitätskriterium. Ich denke, dass ich eine modere Konservative bin - wobei modern nichts mit dem Alter, sondern mit offenem Horizont und Zukunftsblick zu tun hat. Nicht alles muss man dabei über Bord werfen, Gutes will ich bewahren. Grundsätzlich habe ich Spaß an der Arbeit und bin offen für Neues. Meine Familie beschreibt das mit lebenslustiger Geländegängigkeit.

Warum beteiligen Sie sich als Vertreterin einer neuen Politikergeneration eigentlich noch an diesem abgestandenen Politischen Aschermittwoch?

Klöckner: Die Frage haben wir uns im Vorfeld auch gestellt. Das Original ist in Bayern, wer es kopiert, ist nur halb so gut. Und deshalb habe ich beim Politischen Aschermittwoch in Montabaur bewusst einen anderen Akzent gesetzt. Vielleicht zur Enttäuschung mancher Journalisten war es nicht laut oder polternd, sondern nachdenklich, um Botschaften zu senden.
Auch eine Art Selbstvergewisserung: Wo steht die CDU, welche Vorstellung haben wir von einem Rheinland-Pfalz der Zukunft, in dem die Bürger gerne leben und arbeiten, es fair zugeht und auch die gewürdigt werden, die ordentlich ihre Steuern zahlen, den Karren ziehen?

Die Wahrnehmung von Politik macht sich immer stärker an Personen fest. Die Bundeskanzlerin ist das prominenteste Beispiel dafür. Gegen Kurt Beck hatten Sie zuletzt ein vergleichsweise leichtes Spiel. Aber ihre neue politische Gegenspielerin, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, ist beliebter als Sie.

Klöckner: In der Gelassenheit liegt die Kraft. Für die kommenden Generationen sind weniger Umfragen, sondern Konzepte und Ergebnisse wichtig. Die hohe Schuldenlast, der Unterrichtsausfall, die Sorge der Kommunen sind wichtiger als Momentaufnahmen in der Beliebtheitsskala. Und eigentlich ist es doch schön, dass Bewegung in der Politik ist. Klar, für Wahlprogramme sind Türöffner, Politiker, die andere ansprechen, nötig. Dass die Säle bei unseren CDU-Veranstaltungen voll sind, das ist ein tolles Zeichen, das ermutigt mich.

Langfristige politische Bindungen werden seltener, die Parteien schrumpfen. Gibt es in der CDU so etwas wie einen Masterplan, um diese Entwicklung zu stoppen, oder wird Politik künftig zwangsläufig in anderen Strukturen organisiert werden müssen.

Klöckner: Es ist beides. Ich schaue mir regelmäßig unsere Mitgliederstruktur an. Sehr erfreulich ist, dass wir Christdemokraten Zulauf von jungen Leuten haben. Das ist wichtig, denn viele Mitglieder sind alt und sterben leider. Weil jüngere Leute heute eher auf Projekte statt auf langjährige Mitgliedschaften setzen, ist es wichtig, diese Jungen für Politik zu begeistern. Wir bieten Schnuppermitgliedschaften an, haben ein Nachwuchsförderprogramm mit über 80 Jugendlichen aus ganz Rheinland-Pfalz. Diese müssen nicht zwangsläufig in der Partei sein, bekommen aber durch uns Kontakt mit der Politik, Seminare, Schulungen, sie dürfen mich begleiten und den Abgeordneten über die Schulter schauen. Wir wollen nicht warten, bis Interessierte auf uns zukommen, sondern wir müssen als Politiker raus zu den Leuten gehen. Persönlicher Kontakt zählt. Wir pflegen aber auch moderne Kommunikationskanäle wie die erwähnten sozialen Netzwerke Twitter und Facebook.

Eine neue Debatte, die Sexismusdebatte, spaltet die Gesellschaft. Sie hat sich im Internet schlagartig ausgebreitet. Es geht um eine tatsächliche oder unterstellte Herabwürdigung von Frauen. Sie selber wurden im politischen Amt von Kurt Beck gerne als ,,die Weinkönigin" abqualifiziert, Angela Merkel war erst ,,Kohls Mädchen", heute wird sie immer mal wieder als ,,Mutti" verspottet. Einzelfälle, oder allgegenwärtige subtile Diskriminierung?

Klöckner: Die Debatte führte zur Sensibilisierung für Probleme, die es durchaus gibt. Das ist gut. Bisher waren herausragende Ämter von Männern geprägt. Das ändert sich. Aber es ist noch ungewohnt. Und so werden bei Frauen häufig Vergleiche herangezogen. Manche Männer gehen allzu leutselig gönnerhaft mit Frauen um. Ich persönlich und in meiner Position wüsste mich zu wehren. Aber was ist mit Frauen in Abhängigkeitssituationen? Damit müssen wir uns ernsthaft beschäftigen, aber bitte nicht übertreiben, dass wir amerikanische, allzu prüde Verhältnisse bekommen. Dennoch bin ich überzeugt, die allermeisten wissen, was sich gehört im Umgang miteinander.

Was ist Ihnen persönlich wichtig im Leben?

Klöckner: Verlässlichkeit und ein wohlwollendes Miteinander.

Fragen: Isabell Funk



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Julia Klöckner fährt am Mittwoch nach Brüssel und trifft sich dort mit EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia sowie mit EU-Energiekommissar Günther Oettinger. "Wir stehen für Rechtskonformität.Es nützt nichts, die EU nur zu beschimpfen", sagt Klöckner mit einem Seitenhieb an die Landesregierung. Sie will ausloten, ob ein Stiftungsmodell für den Nürburgring, wie es die Sanierer Thomas B. Schmidt und Jens Lieser angedacht haben, für die EU akzeptabel wäre. Klöckner will auch klären, ob für Brüssel eine Ausschreibung der Ring-Anlagen zwingend ist, und wenn ja, ob dann zumindest der Motorsport mit Rennstrecke und Nordschleife aus einem solchen Verfahren herausgelöst werden könnte. Informieren will sich Klöckner über den Stand des EU-Beihilfeverfahrens beim Flughafen Hahn und über das Flughafenkonzept der EU. "Da geht es ganz klar um das Thema: Was ist beihilferechtlich möglich, um die Arbeitsplätze zu sichern?", erläutert Klöckner. Wichtig sei auch ein Zukunftskonzept. "Für mich heißt das intensive Gespräche mit der Fraport und mit Hessen."fcg

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"Die Landesregierung hat sich für Ideen feiern lassen, die ziemlich teuer sind, die aber die Kommunen zahlen müssen." Das sei die Ausgangslage, ehe man über das Finanzierungsdefizit der Kommunen rede, betont Klöckner.Es gebe etwa kein Konnexitätsprinzip (wer bestellt, bezahlt) bei der Schulbuchausleihe, bei Schulbusfahrten und bei der Kindergartengebührenfreiheit. Die Kommunen selbst sollten bei der Reform mehrheitlich das bezahlen, was ihnen vom Land wiedergegeben werden solle. "Das ist ein Taschenspielertrick", kritisiert die CDU-Chefin. Schulbusfahrten dürften nicht kostenlos sein, fordert Klöckner. Wenn die Landesregierung die Schuldenbremse erfüllen und gleichzeitig verfassungskonform den kommunalen Finanzausgleich herstellen wolle, sei es notwendig, "dass sie von Versprechungen runtergeht". Das sehe sie bislang nicht, moniert Klöckner. Rheinland-Pfalz mache trotz Rekordsteuereinnahmen weiter in exorbitanter Weise Schulden. Wenn Rot-Grün soziale Gerechtigkeit propagiere, sei dies "die soziale Kälte der Zukunft". Für sie gehe es um soziale Fairness.fcg

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"Nichts Halbes und nichts Ganzes" sind für Julia Klöckner die neuen Vorschläge von Ministerpräsidentin Malu Dreyer, eventuell Gemeindewechsel über Kreisgrenzen hinweg zu ermöglichen. Es gebe kein Konzept und keine Prinzipien.Die Unklarheit aus Mainz habe Streit, Verdruss und Risse in die Kommunen gebracht. Die CDU schlage ein Moratorium vor, wo Kreisgrenzen tangiert seien und wo es Streit gebe. "Das heißt, das Gesetz gilt, aber wir setzen es aus, bis wir zu einer Reform aus einem Guss kommen", sagt Klöckner. Zweiter Vorschlag: Wo es Bürgerentscheide gegen Fusionspläne gebe, müsse das Land vor Ort moderieren. Eine Verwaltungsreform mit Gebietsänderungen hält Klöckner für nötig, aber Zwangsfusionen von Gemeinden auf Grundlage eines undurchdachten Konzeptes machten keinen Sinn. Die CDU habe klare Vorstellungen, sie habe die erste und zweite Stufe einer vernünftigen Kommunalreform schon in einer internen Arbeitsgruppe durchgespielt. "Unser Angebot an die Landesregierung steht: Lasst es uns gemeinsam richtig machen", sagt Julia Klöckner.fcg

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