"Nur aus Scheiß, der Kick, der Nervenkitzel"

BITBURG. Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Widerstand wirft die Staatsanwaltschaft einem 21-jährigen Mann vor, gegen den seit gestern vor dem Jugendschöffengericht Bitburg verhandelt wird. Hintergrund: die Berliner Mai-Krawalle 2003.

Alle Jahre wieder tobt im Berliner Stadtteil Kreuzberg rund um den 1. Mai der Bär: Vermummte Autonome, Randalierer und Krawallmacher liefern sich Straßenschlachten mit aus der ganzen Republik angerückten Polizeihundertschaften. Die ewig gleiche traurige Bilanz: dutzende Verletzte, eingeworfene Fensterscheiben, abgefackelte Autos, zertrümmerte Telefon- und Wartehäuschen, aufgerissene Bürgersteige.Pflastersteine gegen alles, was im Weg war

Längst legen Berliner Staatsanwälte und Richter an jenen Tagen Sonderschichten ein, um festgenommene Radau-Brüder gleich an Ort und Stelle zu verurteilen. 97 Haftbefehle wurden in diesem Jahr erlassen, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Nach zunächst noch unbekannten Steinewerfern wird bundesweit gefahndet: 200 Polizisten haben während der Mai-Krawalle nichts anderes zu tun, als möglichst scharfe Aufnahmen der Randalierer zu machen. Ein Fahndungsplakat mit seinem Konterfei wurde auch Stefan Müller (Name geändert) zum Verhängnis. Ein Polizist erkannte darauf den 21-jährigen "Pappenheimer", der mittlerweile aus Berlin in einen Ort bei Bitburg gezogen ist. Weil er Heranwachsender ist, muss er zum Prozess nicht an den Ort des Geschehens, sondern darf "heimatnah" verurteilt werden. Vor dem Jugendschöffengericht steht ein junger Mann, dem man die zur Last gelegten Straftaten - Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Widerstand - kaum zutraut: kurzes Haar, ein wenig blass im Gesicht, grauer Anzug ("extra für den Prozess gekauft") und ein paar Turnschuhe, die so gar nicht zum übrigen Outfit passen. Vergangenes Jahr, bei den gewalttätigen Ausschreitungen in Berlin, sah Stefan Müller noch ganz anders aus, wie das im Gerichtssaal vorgeführte Polizeivideo zeigt: kurze Jeans, Sweatshirt, das der damals 20-Jährige schon mal bis über die Nase hoch zog, um sein Gesicht zu verbergen. Für oder gegen was er damals demonstriert habe, will Richter Werner von Schichau wissen und bringt Stefan damit in arge Erklärungsnöte. "Ich glaube gegen Frauenunterdrückung", sagt er schließlich, "und dagegen, dass Menschen Maschinen sind." "Und wer war der Veranstalter?", fragt von Schichau nach. "Keine Ahnung", meint Stefan. Er habe sich einer Gruppe Punks angeschlossen, und kurz darauf seien auch schon die ersten Steine geflogen. Ja, sagt Stefan, auch er selbst habe Pflastersteine geworfen - "auf Polizisten, Fenster, Autos, eben alles, was im Weg war". Einmal hätten sie ihn fast geschnappt. Doch Stefan rammte einem Beamten die Faust ins Gesicht, den anderen stieß er nieder und lief weg. "Und warum das alles?", will der Richter wissen. Stefan zuckt mit den Schultern: "Nur aus Scheiß, der Kick, der Nervenkitzel." Der Prozess wird fortgesetzt; wann, ist noch offen.

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