Öffentliche Hand sucht neue Einnahmequellen

Mainz · Die einen wettern gegen eine aus ihrer Sicht ökonomisch unsinnige "Neidsteuer", die anderen meinen, jeder müsse tragen, was er tragen könne: Über die Reichensteuer wird seit ihrer Einführung 2007 heftig gestritten.

Mainz. Das deutsche Steuerrecht gilt als eines der kompliziertesten, wenn nicht als das komplizierteste der Welt. Und so muss man in der aktuellen Diskussion darüber, ob Spitzenverdiener angesichts des strikten Sparkurses von Bund und Ländern im Rahmen der vereinbarten Schuldenbremse stärker belastet werden sollten, um mehr Einnahmen zu erzielen, fein säuberlich unterscheiden. Die Reichensteuer wird ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 250 000 Euro (Alleinstehende) und 500 000 Euro (Verheiratete) fällig. Bis zu diesen Summen gilt ein Spitzensteuersatz von 42 Prozent, erst darüber hinaus sind drei Prozent mehr zu zahlen."Scheuklappen absetzen"

Der Spitzensteuersatz war in der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) von 53 Prozent (1998) auf 42 Prozent (2005) gesenkt worden. Im Juni 2006 beschloss die Große Koalition von CDU und SPD, die Reichensteuer von 45 Prozent einzuführen. Das Gesetz trat am 1. Januar 2007 in Kraft.Der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD), dessen Partei im Bund aktuell über die Erhöhung des Reichensteuersatzes auf 52 Prozent nachdenkt und damit eventuell im Bundestagswahlkampf werben will, betrachtet diese Planspiele skeptisch. Er fürchtet eine "mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz" und verweist darauf, dass die öffentliche Hand keine allzu großen Summen zusätzlich einnähme. Kühl plädiert eher dafür, den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent zu erhöhen."Beides!", verlangt dagegen Christian Z. Schmitz, DGB-Chef der Region Trier. Beim Spitzensteuersatz müsse man jedoch bedenken, dass der Mittelstand stärker belastet werde. Daher sollte die Progression abgeflacht werden. Zur Erklärung: Die Progression bezeichnet die abhängig von der Einkommenshöhe ansteigende Steuer. "Generell", sagt Schmitz, müsse man "die ideologischen Scheuklappen absetzen und das obere Einkommensdrittel stärker heranziehen". Der Gewerkschafter begründet seine Meinung unter anderem damit, dass das untere Einkommensdrittel zu 40 Prozent die Lasten beim Sparpaket der schwarz-gelben Bundesregierung zu tragen habe. Das habe das Bistum Trier errechnet.Die rheinland-pfälzischen Grünen liegen mit ihren Ansichten auf der Linie von Finanzminister Kühl. "Den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer wollen wir durch eine lineare Verlängerung des Steuertarifs auf 49 Prozent anheben. Der Spitzensteuersatz greift dann bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von etwa 68 000 Euro, was bei einer Berücksichtigung der Absatzmöglichkeiten einem monatlichen Brutto von rund 6300 Euro entspricht", erklärt Ulrich Steinbach, Finanzexperte der Landtagsfraktion. Durch diese Erhöhung des Spitzensteuersatzes würden Einnahmen für alle staatlichen Ebenen in Höhe von etwa sechs Milliarden Euro erzielt. Ob darüber hinaus noch eine Reichensteuer erforderlich sei, "werden wir prüfen".Solche Pläne stoßen bei CDU-Fraktionsvize Adolf Weiland auf keine Gegenliebe. "Das würde eine wesentliche Verschärfung für den Mittelstand, also Techniker, Ingenieure und sogar Schulleiter, bedeuten", kritisiert er. Mittelständische Unternehmen, häufig mit der Organisationsform von Personengesellschaften, würden dadurch stark benachteiligt, obwohl sie Motor der Wirtschaft und des Wachstums seien.Genau so sieht es auch Arne Rössel, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Trier. Rössel schlägt statt Steuererhöhungen etwas anderes vor: "Sparen bei konsumtiven Posten, Subventionsabbau und ein einfacheres Steuersystem ohne Substanzbesteuerung ermöglichen Haushaltskonsolidierung und Wirtschaftswachstum gleichermaßen."Meinung

Symbolsteuer für FairnessSeit sich der Bund und die Länder selbst Fesseln angelegt haben, indem sie sich auf Schuldenbremsen verständigt haben, jagt ein Sparvorschlag den nächsten. Staatliche Ausgaben sollen und müssen drastisch zurückgefahren werden. Dabei geht es noch nicht einmal darum, Schuldenberge abzubauen, sondern darum, in Zukunft keine neuen Kredite mehr aufzunehmen. Wer dem Wahlvolk Sparpakete mit Sozialkürzungen zu verkaufen hat, wird rasch mit der Gerechtigkeitsfrage konfrontiert. In diesem Zusammenhang heißt das Stichwort Reichensteuer. Briten, Italiener und Spanier erheben eine solche Abgabe, Franzosen und Schweden diskutieren darüber. In Deutschland gibt es diese Steuer bereits - allerdings sei sie viel zu niedrig, meinen Befürworter einer Erhöhung. Grundsätzlich nimmt kein Staat mit einer Reichensteuer große Summen ein. Schließlich gibt es nur wenige Menschen, die im Jahr mehr als 250 000 Euro verdienen. Ihr Wert ist weniger ein ökonomischer. Ihr Wert ist der, den Menschen Fairness bei der Verteilung der Lasten zu signalisieren, wenn die Haushalte saniert werden. Insofern handelt es sich um eine Symbolsteuer. Bei der Frage, ob man diese Steuer braucht, muss man feststellen: Sie schmerzt die Betroffenen nicht. Nicht nur US-Milliardär Warren Buffett, sondern auch Spitzenverdiener in Deutschland haben schon klargestellt, dass sie einige tausend Euro mehr beisteuern können und wollen. Darauf sollte der Staat, der sich mit maroden Schulen und kaputten Straßen plagt, keinesfalls verzichten. Wie die Bevölkerung denkt, lässt sich an Umfragen erkennen. Die meisten befürworten es, wenn starke Schultern mehr Lasten tragen sollen. f.giarra@volksfreund.de

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