Ohne Statistik fehlt ein Kompass

Leben tatsächlich 82 Millionen Menschen in Deutschland? Oder nur 80 Millionen, wie Experten schätzen? Die Volkszählung 2011 soll es klären. "Ohne Statistik fehlt ein Kompass für die Politik", sagt Jörg Berres, Chef des Statistischen Landesamtes.

Mainz. Steigende Inflation, Rekord-Ernte, Touristenboom: Fast täglich gibt das Statistische Landesamt in Bad Ems Zahlen bekannt. Die schnellste Statistik gibt es bei den Verbraucherpreisen. Zehn Tage nach Dateneingang sind 17 000 erhobene Einzelpreise aufbereitet, und die monatliche Steigerungsrate steht fest. Nach Schneckentempo sieht es dagegen aus, wenn jüngst die Pendlerströme des Jahres 2004 zum Besten gegeben wurden (der TV berichtete). Doch gegen diesen Eindruck wehrt sich Berres vehement. Herausgelesen werden die Zahlen aus den Steuererklärungen, und die werden zumindest auf freiwilliger Basis für 2004 erst Ende 2006 fällig. Unumstößlich fest stehen die Steuerbescheide fast ein Jahr später. Bis die Pendlerpauschalen den Statistikern zur Auswertung vorlagen, war es März 2008.

Rund zwölf Millionen Datensätze gehen pro Jahr im Landesamt ein. Bis zu 200 Millionen Daten können über die Statistikzentrale im Landesinformations-System abgerufen werden. Über Sinn und Unsinn einer Daten-Sammelwut wird laut Berres auch in seiner Behörde immer wieder diskutiert, vor allem wenn es um die Belastung der Unternehmen geht.

Debatten um Sinn und Unsinn von Daten-Sammelwut



Doch werden nach seinen Angaben nur noch für 48 der insgesamt 300 Statistiken (darunter 250 für EU und Bund) Firmendaten benötigt. 85 Prozent der Betriebe und Freiberufler müssen dagegen keine statistischen Zahlen mehr melden. Der Nachteil für Berres: "Je weniger wir erheben, um so weniger wissen wir." Etwa von kleinen industriellen Betrieben unter 20 Beschäftigten, die von allen Statistiken entlastet sind. Generell ist ein Mindestmaß an Zahlen aus seiner Sicht unerlässlich, um Politik, Wirtschaft oder Sozialverwaltung Orientierung für ihre Planung zu verschaffen. Fehlplanungen verursachten mehr Schaden, als mit dem 23-Millionen-Etat des Landesamtes einzusparen wäre, ist sich Berres sicher. Eine spannende Frage hoffen die Statistiker 2011 durch die angesetzte Volkszählung zu klären: die deutschlandweite Einwohnerzahl. Sie wurde seit 1987 nur fortgeschrieben und dürfte nach Expertenschätzung wohl um mindestens 1,3 Millionen niedriger liegen als die offiziellen 82 Millionen. Allein bei Stichproben in Berlin wurden acht Prozent "Karteileichen" entdeckt. Bei der Erhebung werden mit Ausnahme von Gebäudeeigentümern keine Einzelpersonen befragt, sondern nur Verwaltungsregister von Finanzämtern bis zu Arbeitsargenturen herangezogen. Für Rheinland-Pfalz dürfte sich bei den vier Millionen Einwohnern wenig ändern, glaubt Berres. Schließlich hat das Land seit Jahren ein zentrales Melderegister mit nur geringer "Verlustrate".

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