Trierer Bestseller-Autorin Das sagt Stefanie Stahl zu den Plagiatsvorwürfen
Trier · Eine Psychotherapeutin und ein bekannter Plagiatsgutachter werfen der Trierer Bestseller-Autorin Stefanie Stahl vor, Teile ihres neuesten Buches abgeschrieben zu haben. Was sagt Deutschlands bekannteste Psychologin dazu?
In ihrem jüngsten Bestseller „Wer wir sind“ beantwortet Stefanie Stahl nicht weniger als die Fragen: Wie funktioniert der Mensch? Wie ist der Bauplan seiner Psyche?
Als Deutschlands „Psychologin Nr. 1“ ist sie Millionen Leserinnen und Lesern bekannt. Ihr 2015 erschienenes Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ steht in der Kategorie Sachbuch fast permanent auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste und ist mittlerweile ein Klassiker.
Ihre Fans schätzen sie dafür, „komplexe psychologische Zusammenhänge so zu beschreiben und zu erläutern, dass diese für jedermann verständlich sind“. So fasst es eine Kundin namens „Stephi83“ in ihrer Amazon-Rezension zusammen und schwärmt von „Aha-Momenten“, „in denen ich mich und mein eigenes Verhalten, aber auch das meiner Mitmenschen erkenne und auch nachvollziehen kann“. Stahls Buch helfe ihr, Zugang zu sich selbst zu finden, sich zu reflektieren und Verhaltensweisen zu ändern. „Wenn das jeder machen würde, hätten wir vermutlich wirklich eine bessere Welt.“ Bewertungen wie diese gibt es Hunderte.
Fachärztin für Psychotherapie wirft Stefanie Stahl vor, von Klaus Grawe abgeschrieben zu haben
Doch nicht jedem gefällt, was Stahl schreibt und wie sie arbeitet. Besonders harsche Kritik kommt von einer Berufskollegin. Dr. med. Diana Pflichthofer aus Soltau in der Lüneburger Heide wirft Stahl in einem Artikel, der online im „Overton Magazin“ erschien, nicht nur vor, eine „unterkomplexe, triviale und daher auch in Teilen gefährliche Vorstellung von Psychotherapie“ zu verbreiten. Die Psychoanalytikerin, die selbst Autorin von Fachbüchern über Trennungen oder Neurosen ist, beschuldigt die bekannte Triererin auch, wissenschaftlich nicht korrekt zu arbeiten und einen Teil ihres neuen Buches abgeschrieben zu haben. Um das zu beweisen, hat die Fachärztin für Psychotherapie extra den bekannten Plagiatsjäger Stefan Weber beauftragt. Sein Gutachten über Annalena Baerbocks Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ gilt mit als Grund dafür, warum die Kanzlerkandidatur der Grünen Spitzenpolitikerin scheiterte. Die österreichische Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) trat nach von Weber erhobenen Plagiatsvorwürfen zurück. Und noch viele weitere Karrieren litten unter seinen Enthüllungen.
„Ist hier eine Konkurrentin neidisch auf den Erfolg von Kollegin Stefanie Stahl?“, fragte das Magazin Stern in einem Bericht über die Vorwürfe. Pflichthofer verneinte das. Stahl habe nicht nur abgeschrieben, ihre Theorien seien unwissenschaftlich. „Die Leute kämen deshalb mit falschen Vorstellungen in ihre Praxis. Sie und ihre Kollegen und Kolleginnen müssten das, was Stefanie Stahl verbreite, ausbaden“, sagt sie zum Stern.
In einer Mail an unsere Redaktion schreibt sie, der stern habe zwar mit ihr gesprochen, aber sie „weder interviewt, noch sind irgendwelche Sätze von mir autorisiert worden“.
Plagiatsjäger Stefan Weber wirft Bestseller-Autorin Stefanie Stahl Plagiate im Buch ,Wer wir sind‘ vor
Nun erhebt der beauftragte Plagiatsjäger Weber ähnliche Vorwürfe auch gegen die Trierer Bestseller-Autorin. In seinem Blog für wissenschaftliche Redlichkeit schreibt er: „Sie wird ihrer Leserschaft die Frage beantworten müssen, warum sie in ihrem jüngsten Spiegel-Bestseller ,Wer wir sind‘“ unter anderem aus der ,Zeit‘ und aus der ,Welt‘ abgeschrieben hat – vor allem aber aus dem Hauptwerk ihres Mentors Klaus Grawe mit dem Titel ,Neuropsychotherapie“ (2004).“ Mehr als 30 Textstellen hat er dokumentiert.
Plagiate durchzögen das Werk „Wer wir sind“ von Seite17 bis Seite 312. Weber hat die Textpassagen allesamt aufgelistet und den mutmaßlichen Originalen gegenübergestellt. Ein Beispiel – Stahl schreibt: „Diese Kinder reagieren auf Trennungen von ihren Bezugspersonen mit bizarren und stereotypen Verhaltensweisen“ – ein Satz, den Weber Grawe zuschreibt und der in dessen Werk von 2004 so lautete: „Diese Kinder reagieren auf Trennung von und Rückkehr der Bezugsperson mit bizarren und stereotypen Verhaltensweisen.“
Stefan Weber: Stefanie Stahl verpflichtet sich öffentlich der Wissenschaft
Nun ist Stahl weder Ministerin noch Kanzlerkandidatin. Auch erheben ihre Ratgeber überhaupt nicht den Anspruch, wissenschaftliche Fachliteratur zu sein. „In der Öffentlichkeit aber tritt Stahl als Psychologin auf, die der Wissenschaft verpflichtet ist und daraus auch das Vertrauen ableitet, das Millionen Leserinnen und Leser ihr entgegenbringen“, schreibt die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel über die Vorwürfe. Weber verweist auf Interviews, in denen Stahl betont, „für wissenschaftliche Psychologie“ zu stehen. Auch in der Populärwissenschaft seien alle von ihm dokumentierten Textstellen als Plagiate zu identifizieren, beharrt der Gutachter.
Stefanie Stahls Pressesprecher Malte Weber weist auf Anfrage darauf hin, dass das gesamte Buch Grawe gewidmet sei und dass dieser an zig Stellen genannt werde, im Sinne des Leseflusses aber nicht an jeder. Das Buch solle auch keine Doktorarbeit sein. Pflichthofer hält dagegen, auf Grawe werde nur zehn Stellen verwiesen.
Als der TV im November 2022 über die Neuerscheinung berichtete, machte Stefanie Stahl sehr deutlich, dass Grawes Forschungen und Theorien Basis ihre Buches sind.
Klaus Grawe (siehe Extra) habe eine bahnbrechende Forschung geliefert, auf die sie sich in ihrem Buch hauptsächlich beziehe, sagte Stahl damals.
Der Gutachter hingegen findet, eine Widmung an Grawe und eine Nennung seines Werks im Literaturverzeichnis entbinde die Verfasserin nicht von der Zitierpflicht.
Einem Bericht des stern zufolge prüfte Weber auch das Buch „Das Kind in Dir muss Heimat finden“. Er habe dort keine Dubletten gefunden, teilte er dem Magazin mit. Die nun kritisierten Stellen in „Wer wir sind“ sollen dem Bericht zufolge in der nächsten Auflage des Buches besser gekennzeichnet werden.
Das sagt Stefanie Stahl selbst zu den Plagiats-Vorwürfen
Und was denkt Stefanie Stahl selbst zu alledem? Sie schreibt auf Anfrage unserer Zeitung Folgendes: „Meine Leserinnen und Leser schätzen an meinen Büchern, dass sie leicht zu lesen sind und einen spannenden Einblick in ihre Psyche geben. Ich greife in meinen Büchern in sehr verständlicher Sprache auf meine Erfahrungen aus mehr als 30 Jahren Therapie zurück und erwähne auch ausdrücklich und explizit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mich inspirieren. Aus Gründen der Lesbarkeit verzichte ich ganz bewusst auf einen wissenschaftlichen Stil des Zitierens.
Ich werde meine Bücher auch weiterhin und aus tiefer Überzeugung einfach, klar und für jedermann verständlich schreiben. Nur dann sind sie für meinen Millionen Leserinnen und Lesern eine wertvolle Hilfe beim Erkennen und Verstehen der menschlichen Psyche.“
Im Interview mit unserer Zeitung hatte sie 2022 berichtet, als
psychologische Gerichtsgutachterin durch eine harte Schule
gegangen zu sein, sich verständlich auszudrücken. „Ich hatte damals bereits den Anspruch, dass die Gutachten nachvollziehbar geschrieben sind. Ich hatte sogar den Anspruch, dass es einen Spannungsbogen gibt. Schon als Studentin habe ich mich über Fachliteratur aufgeregt, die furchtbar schwer verständlich geschrieben war. Ich hatte Tagträume, dass ich im Audimax stehe und dort sitzen alle Professorinnen und Pro-
fessoren, und ich nehme ihre Absätze auseinander und erkläre ihnen, wie man vernünftiges Deutsch schreibt.“
Aussagen, über die sich manche Doktoren und Professoren ärgern könnten. Doch keineswegs jeder in der Welt der Wissenschaft kritisiert die Bestseller-Autorin für ihre Art zu schreiben. Buchautor und Mediziner Prof. Tobias Esch wirbt mit einem Zitat für Stahls Buch: Sie habe etwas geschafft, was längst überfällig gewesen sei: „die Psychologie aus einer fachlichen Nische herauszuholen und in die Mitte unserer Gesellschaft zu stellen.“