Portale, Ökosiegel und Verträge

Trier · Angesichts der Atomkatastrophe in Japan und der Debatte über Atomkraft in Deutschland steigt die Bereitschaft, zu Ökostrom zu wechseln. Doch nicht überall, wo Öko draufsteht, ist auch Öko drin.

Trier. Die Verbraucherportale zu Stromanbietern im Internet können sich derzeit über mangelndes Interesse nicht beklagen. Toptarif verzeichnet seit der Atomkatastrophe in Japan ein um 60 Prozent höheres Interesse an Ökostromtarifen, bei Verivox stiegen die Anfragen in ähnlichem Umfang an. "Leute, die jetzt aktiv werden, haben einen Anbieterwechsel schon länger vorgehabt", sagt Hans Weinreuter, Energie-Experte bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in Mainz. Die Atomka tastrophe in Japan habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Trierer FH-Professor Dirk Brechtken rechnet bei einem Umbau der Stromversorgung mit höheren Kosten für Verbraucher. Nachfolgend einige wichtige Fragen und Antworten:

Was ist drin im Ökostrom?

"Im Ökostrom ist nicht zwingend alles Öko", sagt Weinreuter. Denn eine Definition für Ökostrom gibt es nicht, generell versteht man darunter umweltschonend hergestellten Strom, vor allem aus erneuerbaren Energien wie Wind- und Wasserkraft, Biomasse und Solaranlagen. Aber auch Kraft-Wärmekopplungsanlagen gelten laut der Stiftung Warentest als Ökostromerzeuger, obwohl dabei Gas oder Heizöl verfeuert würden.

Rein technisch betrachtet unterscheidet sich der Strom aus einem Öko-Tarif nicht von dem "Normal"-Strom, sagt FH-Professor Brechtken. Hier kommt also kein spezieller Ökostrom aus der Steckdose. Die elektrische Energie kann man sich eher als einen großen See vorstellen, in den viele Erzeuger einspeisen und aus dem viele Verbraucher gespeist werden. Das Niveau dieses Sees bleibt immer konstant, das heißt, es wird gerade so viel Energie erzeugt wie verbraucht. Bei korrekter Abwicklung wird durch einen Ökostromtarif ein regenerativer Energieerzeuger ermächtigt, die entsprechende Energiemenge in diesen "See" einzuspeisen.

Wie erkennt man echte Ökostrom-Anbieter?

Energie-Experte Hans Weinreuter favorisiert zwei Siegel, die Umweltverbände und Verbraucherschützer auf Seriösität testen: das Ok-Power-Label und das Grüner Strom Label (GSL). "Bei beiden wird neben der umweltfreundlichen Stromproduktion auch geprüft, wie hoch der Anteil der Einnahmen ist, der in neue Anlagen investiert wird, und dass nicht mehr Ökostrom verkauft wird, als auch produziert wird", sagt er. Und wer auf Nummer Sicher gehen wolle, dem empfiehlt Weinreuter das Internetportal www.ecotopten.de des Öko-Instituts Freiburg mit seinen bundesweiten und regionalen Anbieterlisten.

Muss der Staat stärkere Anreize setzen, um die Erneuerbare-Energieerzeugung auszubauen?

Jede neuartige Energieerzeugung braucht zunächst Anreizsysteme, meint Dirk Brechtken. Diese müssen aber sorgfältig hinsichtlich Umfang und Dauer austariert werden. So verhindert eine unzureichende Subvention die Marktreife. Eine übermäßige Subvention zeigt aber auch unerwünschte Effekte. Nur beispielhaft sei hier auf die Photovoltaik verwiesen, bei der lange Zeit immer wieder die hohe Förderung als Grund für hohe Modulpreise genannt wurde.

Wie wechsele ich zu Ökostrom?

Zunächst ist laut Weinreuter der aktuelle Vertragsstatus zu klären. Derzeit seien nur noch 40 Prozent der Haushalte in der Grundversorgung, die man innerhalb von vier Wochen kündigen könne. Alle übrigen Verträge könnten nur bei Tariferhöhungen kurzfristig gekündigt werden. Ist der Wechselzeitpunkt geklärt und der neue Anbieter ausgewählt, wird der neue Auftrag erteilt. "Der neue Stromlieferant kündigt den alten Vertrag. Um Versorgungssicherheit zu haben, sollte man nicht selbst kündigen", sagt der Energie-Experte.

Wird der Strom teurer - auch im Blick auf die CO-Last bei Kohlekraftwerken oder der Endlager-Problematik beim Atomstrom?

Ein klares Ja kommt hier von Dirk Brechtken. Ein schneller Einstieg in andere Formen der Energieerzeugung wird kurzfristige Investitionen erfordern, die sich im Strompreis niederschlagen werden. Auf Grundlage der üblichen Berechnungsmodelle ist Strom aus Kernenergie sehr günstig. Ob in diesen Berechnungsmodellen die ungelöste Endlagerung ausreichend berücksichtigt ist, wird unterschiedlich beurteilt, letztlich aber erst auf längere Sicht beantwortet werden können. Der Weg weg von der Kernenergie und hin zu regenerativen Energieträgern wird davon unabhängig nicht zum Nulltarif zu haben sein.

Was kann jeder sonst tun?

"Energie sparen!", sagt Hans Weinreuter. Ob Stand-by-Position oder Geräteklassen: Allein bei privaten Haushalten liege das Einsparpotenzial bei 20 Prozent. Bei den Verbraucherberatungsstellen, etwa in Trier, gibt es Messgeräte, die den Verbrauch erfassen und Sparpotenziale freilegen. Allerdings ist Weinreuter überzeugt: "Vieles ist nur über EU-weite Vorgaben an die Industrie zu machen, wie etwa bei den Glühbirnen."

ZUR PERSON

Dirk Brechtken ist 47 Jahre alt, an der FH Trier Professor für Energieübertragung und -verteilung. Zudem ist er Leiter des Instituts für Energieeffiziente Systeme (IES). Brechtken ist verheiratet und hat zwei Kinder. red

Hans Weinreuter betreut bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in Mainz den Bereich Energie und Umwelt. Der Verbraucherschützer beobachtet seit Jahren den deutschen Energiemarkt und die Entwicklung am Strommarkt.

Zu der Frage, in welchem Zeitraum alle deutschen Atomkraftwerke (AKW) abgeschaltet werden könnten, sagt Dirk Brechtken: Hierzu existieren unterschiedliche Meinungen. Wichtig wäre, einen gesellschaftlichen Konsens anzustreben über diese Frage. Dieser Konsens würde dann auch eine Planungssicherheit über einzelne Legislaturperioden hinweg bieten. Eine Abschaltung aller AKW wirft die Frage auf, wie unsere Energieversorgung anschließend sichergestellt würde. Ein Import großer Elektrizitätsmengen aus Frankreich, das schon heute fast 80 Prozent seines Stroms aus Kernkraftwerken erzeugt, kann keine verantwortungsbewusste Lösung sein. Im Extremfall würde der deutsche Verzicht auf Kernkraft die Entstehung neuer Kernkraftwerke entlang der deutschen Grenze sogar begünstigen. Ein Ausstieg im mittelfristigen Bereich, also in einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren, erscheint grundsätzlich machbar. Ein kurzfristigerer Ausstieg wäre vielleicht durchsetzbar, aber sorgfältig auch unter technischen, wirtschaftlichen, und rechtlichen Aspekten zu bewerten. hw

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