Pragmatiker im Versöhner-Gewand

Überwiegend gute Noten für eine Rede an die Nation: US-Präsident Barack Obama fordert die Amerikaner zu einer Innovationsoffensive auf und appelliert an die gemeinsame Verantwortung der Parteien.

Washington. Geraten die USA im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen? Gerade diese Vision malt US-Präsident Barack Obama an die Wand, als er am Dienstagabend auf dem Kapitol bei der traditionellen jährlichen Rede zur Lage der Nation die Erinnerungen des Landes an den sogenannten Sputnik-Schock bemüht. Damals, im Jahr 1957, hatte die Sowjetunion mit dem Start des allerersten Satelliten den Wettlauf ins All eröffnet - und den USA die technologische Verwundbarkeit deutlich gemacht. Doch dann ging ein Ruck durch Amerika.

Eben jenen Schub erhofft sich nun der Präsident von seiner Ansprache, die - so sah es gestern die New York Times - "leicht an neuen Politik-Vorschlägen" gewesen sei, aber laut einer CNN-Umfrage dennoch bei 52 Prozent der Bürger positiv ankam.

Die Millionen Zuschauer erlebten zur besten Sendezeit eine gut inszenierte PR-Show, mit der - noch unter dem Eindruck des Attentates von Tucson - vor allem eines demonstriert werden sollte: dass politische Grabenkämpfe überwunden werden können. Deshalb waren auch viele Parlamentarier dem Aufruf des Weißen Hauses gefolgt und hatten sich demonstrativ neben einen Vertreter der anderen Seite gesetzt. Die gewohnten Bilder der Vergangenheit - die eine Hälfte der Kammer jubelt, die andere schweigt - gab es diesmal nicht. Stattdessen präsentierte sich Obama dem Land als Pragmatiker im Versöhner-Gewand, der gleichzeitig die Notwendigkeit zur Innovation und Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit über alles stellt - auch den Sparzwang angesichts des Rekord-Haushaltsdefizites. Obama: "Wir müssen Amerika zum besten Ort auf der Erde machen, um Geschäfte zu betreiben", so einer seiner Kernsätze.

Damit zielt Obama deutlich in Richtung politischer Mitte, denn Antworten auf die Abwanderung von Arbeitsplätzen - unter anderen nach Fernost - und die Reduzierung der Schuldenlast sind die wichtigsten Anliegen der Republikaner. "Die Zukunft gewinnen" will nun der Präsident mit einem Plan, der Investitionen in bestimmten Bereichen wie Bildung, Verkehrsinfrastruktur, Kommunikation und sauberer Energieformen vorsieht, aber gleichzeitig andernorts den Rotstift ansetzt.

Hatte er vor einem Jahr an gleicher Stelle ein dreijähriges Einfrieren bestimmter frei verfügbarer Etatposten im Inland angeregt, so sieht sein neuer Vorschlag nun eine Verlängerung dieser Maßnahme um zwei weitere Jahre vor - was rund 400 Milliarden Dollar einsparen soll. Doch der dürftige Applaus belegt, wie schwer die Umsetzung im politischen Alltag sein wird. Denn auch viele Demokraten scheinen bisher das Schuldenproblem der USA schlichtweg zu ignorieren. Ebenso fraglich scheint auch, ob Obama die angestrebte Verbesserung des politischen Klimas gelingt. In ihren Antworten auf die Präsidentenrede machten der republikanische Abgeordnete Paul Ryan und die konservative Tea Party-Vertreterin Michelle Bachman deutlich, dass sie die Hauptverantwortung für die anhaltende Job-Krise und die Schulden-Explosion vor allem bei Barack Obama sehen.

Unvergessen ist bei der Opposition auch die Kooperationsaussage des Präsidenten, die er im vorigen Jahr formuliert hatte: Die Republikaner könnten gerne an Bord des Busses kommen, müssten aber hinten Platz nehmen. Sprich: Ihre Vorschläge dürften keine Rolle spielen. Die Washington Post vermutet deshalb, dass sich im Grunde nichts ändern wird in der Hauptstadt: Obama habe eine "elegante Rede" gehalten, so das Blatt, aber keinerlei inhaltliche Konzessionen gemacht.

Meinung

Das Comeback kann gelingen

Amerika mag seinen Präsidenten wieder. Barack Obamas Rede zur Lage der Nation hat gesessen. Der Applaus ist ihm auch langfristig sicher, wenn er Ernst macht mit drei Kern-Herausforderungen: die politischen Lager näher zusammenzubringen, die bedrohlichen Staatsschulden zu bekämpfen und die Job-Maschine USA wieder anzuwerfen. Obama muss mit den Republikanern aktiv Kompromisse anstreben, wenn er 2012 wiedergewählt werden will. Dass er zu Verständigung in der Lage ist, hat seine kluge Rede nach dem Attentat von Tucson gezeigt: frei von parteipolitischer Polemik, prall gefüllt mit der Suche nach Gemeinsamkeiten. Mit der ähnlich wohlklingenden Ansprache an die Nation hat er den Grundstein für ein Comeback im Stile eines Bill Clinton gelegt, der es durch ein Orientieren zur politischen Mitte hin ein zweites Mal ins Weiße Haus schaffte. nachrichten.red@volksfreund.de

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