Privat-Patienten werden bevorzugt

TRIER. Zum zweiten Mal innerhalb eines Monats protestieren Ärzte gegen ihrer Meinung nach existenzbedrohende Honorareinbußen. Um den Verlust wettzumachen, buhlen immer mehr Mediziner um Privatpatienten, an denen sie mehr verdienen.

"Wie sind Sie versichert: gesetzlich oder privat?" Die Frage der Arzthelferin am Telefon hat weniger einen statistischen Zweck. Es geht darum, ob der Anrufer möglichst rasch einen Termin bekommt oder noch ein paar Wochen warten muss. Privatpatienten werden bevorzugt. Selten trat eine Zwei-Klassen-Medizin deutlicher zutage als zurzeit. Kaum ein niedergelassener Arzt macht einen Hehl daraus, dass er die Privatpatienten braucht, um kostendeckend zu arbeiten. Mit Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) allein kann eine Praxis heute nicht mehr überleben. Auf die Punkte kommt es an

Weil sich die Behandlung von gesetzlich Versicherten für einige Mediziner nicht mehr rechnet, ziehen sie die Konsequenz. Sie behandeln keine Kassenpatienten mehr. Wie der Wittlicher Kiefer-Chirurg Andreas Grewenig, Landesvorsitzender der Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Er hat die Kassenzulassung zurückgegeben. Für 23 Euro effektiven Umsatz pro Stunde könne er gesetzlich Versicherte nicht mehr kostendeckend ambulant operieren, sagt er. Sein Schritt richte sich nicht gegen die Patienten, sondern gegen das "zunehmend planwirtschaftliche und unmenschlich überbürokratisierte Korsett". Noch nicht einmal zehn Prozent der Deutschen sind privat versichert. Doch die erlesene Klientel ist für die Ärzte lukrativ. Für einen gesetzlich Versicherten erhalte er elf Euro im Quartal, sagt ein Orthopäde. Bei Privatpatienten werde jede einzelne Leistung vergütet, da habe man eine ganz andere Motivation. Beispiel Ultraschall: Während ein Arzt dafür bei einem gesetzlich Versicherten rund 17 Euro bekommt, ist es bei einem Privatpatienten mehr als das Dreifache. Die Honorare der Kassenpatienten decken nach Darstellung der Ärzte gerade die Aufwendungen für Personal, Miete und laufende Kosten. Bei privat Versicherten wird nach einer Gebührenordnung abgerechnet - entsprechend der Leistung.Der Ärger mit den Punkten

Bei den Kassenmitgliedern richtet sich die Vergütung nach genau festgelegten Punktwerten. Wie viele Punkte eine Leistung wert ist, steht in dem seit 2005 geltenden Einheitlichen Beurteilungsmaßstab (EBM). Jeder Arzt meldet die von ihm erbrachten Leistungen der Kassenärztlichen Vereinigung in Mainz. Daraus errechnet sich das individuelle Punktzahlvolumen. Die zur Verfügung stehende Gesamtvergütung, die die gesetzlichen Kassen pro Versicherten an die KV zahlen, wird durch die von allen Ärzten gemeldeten Punktzahlen geteilt. Daraus ergibt sich der Punktwert. Das heißt: Je mehr Leistungen abgerechnet werden, desto geringer ist dieser Wert. "Was sollte einen niedergelassenen Arzt dazu bewegen, seine Bilanz durch eine noch intensivere Betreuung von GKV-Patienten weiter zu verschlechtern?", hieß es dazu kürzlich in der Ärztezeitung. Ein Hausbesuch wird mit 400 Punkten bewertet. Läge der Punktwert - wie im EBM vereinbart - bei 5,11 Cent, könnte ein Arzt mit rund 20 Euro dafür rechnen. Doch laut den Ärzten liegt der Wert zwischen drei und vier Cent. Schuld daran seien die Kassen, die sich weigerten, mehr zu zahlen. Bereits jetzt fühlen sich viele gesetzlich Versicherte als Patienten zweiter Klasse. Laut einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung rechnen 65 Prozent der Kassenmitglieder damit, dass sie im Alter nicht ausreichend versorgt werden. 80 Prozent der Befragten glauben, dass nicht jeder Bürger Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung hat.

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