Prozess nach Babytod: Kinderarzt sagt aus

Trier/Spangdahlem · Hätte nicht nur die 22-jährige Angeklagte ihren Sohn vor den Übergriffen seines Vaters schützen können, sondern hätten vielleicht auch noch andere die Möglichkeit gehabt, den Jungen zu retten? Im Prozess um den Tod eines achtmonatigen Babys vor dem Landgericht Trier hat am Mittwoch der verantwortliche Kinderarzt der Wittlicher Klinik ausgesagt.

Er steht nicht als Angeklagter vor dem Landgericht Trier, der Mann in dem dunkelblauen Anzug. Auf der Anklagebank sitzt nach wie vor die 22-jährige Amerikanerin, deren Sohn im Oktober 2010 im Alter von acht Monaten vermutlich an den Folgen eines Schütteltraumas starb. Sie soll ihn, so wirft es ihr Staatsanwalt Jörn Patzak vor, nicht vor den Übergriffen des Vaters, eines auf der Airbase Spangdahlem stationierten Soldaten, geschützt haben. Und dennoch richtet sich am Mittwoch alle Aufmerksamkeit auf ebenjenen Mann im dunkelblauen Anzug, der mit blassem Gesicht als Zeuge vor den Richtern Platz nimmt. Er ist sicherlich kein leichter Gang für ihn - immerhin steht sein Ruf auf dem Spiel, seitdem zuletzt eine Kinderärztin der Airbase ausgesagt hat, dass sie ihn, den Kollegen am Wittlicher Krankenhaus, bereits im August 2010 über ihren Misshandlungsverdacht bei dem Baby informiert und ihn gebeten hatte, weitere Röntgenaufnahmen bei dem Kind zu veranlassen. Dieser Bitte jedoch kam der Kinderarzt in führender Position an der Wittlicher Klinik nicht nach.

Zeuge: Überforderte Eltern



Er habe die Situation in der Rückschau falsch eingeschätzt, räumt der Mediziner gestern ein. Er ist bemüht, Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen, als er beteuert: "Wir hatten wirklich den Eindruck, dass die Eltern überfordert gewesen sind." Ob denn nicht gerade überforderte Eltern Risikogruppen für Kindesmisshandlungen seien?, fragt ihn die psychologische Sachverständige, Prof. Dr. Anke Rohde. "Ich habe es nicht als solche eingeschätzt", wiederholt der Kinderarzt, der sich laut eigener Auskunft nicht mehr daran erinnern kann, ob er das Baby in den vier Tagen, die es stationär in Wittlich behandelt wurde, überhaupt zu Gesicht bekommen habe. Wie er denn, ohne den Jungen gesehen zu haben, eine Misshandlung habe ausschließen können?, will Staatsanwalt Jörn Patzak wissen. Die Erklärung der Eltern, die Verbrennungen ihres Sohnes seien auf ein zu heißes Bad zurückzuführen, sei ihm plausibel erschienen, erwidert der Zeuge, immer noch äußerlich gelassen. Doch die Fassade bröckelt, als Patzak ihn mit der Frage konfrontiert: "Hätten Sie den Tod des Jungen verhindern können?" Der Rücken des Mediziners versteift, als er erwidert: "Diese Frage finde ich unfair."

Unfair oder nicht: Für die Angeklagte ist sie wichtig. Zwar entlässt sie die 22-Jährige nicht aus der Schuld, sollte sie am Ende unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen verurteilt werden. Bei der Höhe der Freiheitsstrafe allerdings spielt es schon eine Rolle, ob nicht nur die Mutter, sondern auch andere die Möglichkeit gehabt hätten, den Tod des Jungen zu verhindern. Der Kinderarzt der Wittlicher Klinik allerdings lässt diese wichtige Frage am Mittwoch unbeantwortet.

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