Rechnet das Land bei den Abi-Noten richtig?

Trier /Mainz · Die Abiturnote des 19-jährigen Trierers liegt nur um 0,1 unter dem Mindestdurchschnitt, den er voraussichtlich für sein Traumstudium benötigt. Nun klagt er vor dem Verwaltungsgericht. Denn nach der Berechnung der vergangenen Jahre, so ist er sicher, hätte er mit denselben Noten den Numerus clausus erfüllt.

Trier /Mainz. Die Berechnung der Abiturnote in Rheinland-Pfalz ist eine komplizierte Sache mit vielen Optionen, Formeln und Zwischenrechnungen. Das Bildungsministerium gibt deshalb in jedem Jahr für alle Schüler und Eltern eine Broschüre heraus (MSS Abi), in der auch die für die Gymnasien verbindlichen Berechnungsformeln für die Teil- und Gesamtnote nachlesbar sind. Um eine kleine Änderung mit möglicherweise großen Folgen dreht sich alles bei dem Rechtsstreit, über den das Verwaltungsgericht Trier nun entscheiden muss.
Kläger ist ein Trierer Abiturient, der von Rechtsanwalt Michael Witzel, Kanzlei Spaetgens Rechtanwälte Trier, vertreten wird. Sein Argument: Die freiwillige Facharbeit werde in der Broschüre MSS Abi 2014 zwar als Möglichkeit dargestellt, eine Abiturnote zu verbessern. In Wirklichkeit könne aber von Freiwilligkeit keine Rede sein. Tatsache sei, dass sich ohne Facharbeit in vielen Fällen die Gesamtnote verschlechtere. Sollte er recht bekommen, hätte das vermutlich auch Auswirkungen auf viele der mehr als 14 000 Abiturzeugnisse des Jahres 2014 in Rheinland-Pfalz
Michael Witzel: "In den vergangenen Abiturjahrgängen, jedenfalls 2013, war bei der Nichtabgabe eine Verschlechterung ausgeschlossen. Das hat sich durch eine Berechnungsformel, die zum ersten Mal so in Verbindung mit der aktuellen Broschüre MSS Abi 2014 angewendet wird, zu einer Verschlechterung geführt. Das kann nicht rechtens sein."
Auch andere Eltern aus Trier haben sich bei der Oberen Schulbehörde (ADD) darüber beklagt, dass weder in der Broschüre noch in der Schule darüber aufgeklärt werde, dass von einer freiwilligen Facharbeit in diesem Abiturjahrgang keine Rede mehr sein könne. "Nirgendwo wird deutlich, dass die Facharbeit als geschrieben vorausgesetzt wird, damit man keinen Punktabzug erhält", ärgert sich ein Vater (Name der Redaktion bekannt), der inzwischen einen umfassenden Schriftverkehr unter anderem mit der Schulaufsichtsbehörde vorweisen kann und auch den Landeselternbeirat (LEB) informiert hat.
In einem Gymnasium im Kreis Trier-Saarburg sei gerade einmal von drei Schülern eine Facharbeit geschrieben worden. "Bei uns waren es möglicherweise ein paar mehr, aber wenn sie es gemacht haben, dann in dem Glauben, sie würden ihre Note verbessern und nicht nur einer Verschlechterung entgegenwirken." Der Kritik angeschlossen hat sich auch der Landeselternbeirat. LEB-Vorstandsmitglied Werner Dörr: "Wir teilen die grundsätzliche Kritik der Schüler und Eltern und haben den Sachverhalt der zuständigen Fachabteilung im Ministerium dargelegt." Dabei habe man um eine Neufassung der Beratungstexte sowie ein Gespräch gebeten, zu dem es aber noch nicht gekommen sei.
Während der ehemalige Verwaltungsrichter und Oberregierungsrat Michael Witzel für seinen Mandanten Klage und Eilantrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel eines besseren Abiturzeugnisses eingelegt hat, sieht der Landeselternbeirat eher geringe Chancen, dass die aktuellen Abiturnoten im Land überprüft und korrigiert werden müssen.
In jedem Fall, so Werner Dörr, sollte aber in den Gymnasien klarer informiert werden. Dazu gehöre auch mehr Bereitschaft, überhaupt Facharbeiten zu betreuen. "Da die Lehrer dafür keine Stundenanrechnung bekommen, ist die Begeisterung verständlicherweise nicht so groß."
Das Bildungsministerium in Mainz sieht derweil keinen Handlungsbedarf. Sprecher Wolf-Jürgen Karle: "Die Auffassung, es gebe eine Regelungslücke, wird von Ministerium und Schulaufsicht keineswegs geteilt." Die seit mehr als 40 Jahren existierende Regelung der Möglichkeit, für die Abiturnote eine Facharbeit einzubringen, ist eindeutig eine Belohnung für eine Zusatzleistung. "Wer keine Facharbeit anfertigt, erhält dafür keineswegs einen Punktabzug."
Die MSS-Broschüre werde routinemäßig zwar jedes Jahr überarbeitet. Eine Überarbeitung speziell aus Anlass der Beschwerden werde es nicht geben.
Ob der 19-jährige Kläger sein Traumstudium doch noch im Herbst beginnen kann, wird also vor dem Verwaltungsgericht Trier entschieden. Mit einer ersten Entscheidung ist bald zu rechnen, denn die Einschreibungsfrist endet am 15. Juli.Extra

Beim Abitur in Rheinland-Pfalz sind maximal 900 Punkte zu erreichen. Diese Summe ergibt sich aus der Addition von zwei Leistungsblöcken: In Block I fließen die Leistungen aller Kurse (Fächer) inklusive der freiwilligen Facharbeit ein. Sie werden nach einer vorgegebenen Formel berechnet, wobei zum Beispiel Leistungskurse doppelt zählen. Grundsätzlich sind im Block I maximal 600 Punkte als Gesamtbewertung möglich. Mindestens 200 Punkte sind notwendig, um die Zulassung zur Abiturprüfung zu erhalten. Mit der Abiturprüfung (Block II) sind maximal 300 Punkte zu erreichen. Die Gesamtnote ergibt sich aus einem festgelegten Schlüssel. So entsprechen 900 bis 823 Punkte der Abiturnote 1,0; 660 bis 643 Punkt der Note 2,0 oder 300 Punkt der Note 4,0. Mit weniger Punkten ist das Abitur nicht bestanden. r.n.Extra

Eine Facharbeit ist eine wissenschaftlich gehaltene Hausarbeit, die von Schülern zur Leistungskontrolle selbstständig erstellt wird. Sie ist häufig eine Art Abschlussarbeit der Oberstufe, die ins Abitur eingebracht werden kann. Das Thema legen Lehrer und Schüler in Absprache fest. Die Anforderungen sind denen einer Universitätsarbeit ähnlich. In Rheinland-Pfalz kann in der Jahrgangsstufe 12 eine Facharbeit in einem der drei Leistungskurse geschrieben werden. Sie soll zehn bis zwölf Seiten umfassen und wird maximal mit 14 Punkten bewertet. red

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