„Religionen dürfen verspottet werden“ - Kabarettist Dieter Nuhr im TV-Interview

Düsseldorf · Nicht nur wegen seines Kabarettprogramms ist Dieter Nuhr im Moment in aller Munde. Es ist eine Anzeige gegen Nuhr wegen angeblicher Islamhetze, die für Gesprächsstoff sorgt. Einige von Nuhrs Kabarett-Kollegen zeigen sich solidarisch mit dem 53-Jährigen.

Knapp 25 Muslime haben vor einem Auftritt des Kabarettisten Dieter Nuhr am Wochenende in Osnabrück demonstriert. "Stoppt den Hassprediger", stand auf einem Plakat. Der Osnabrücker Muslim Erhan Toka hatte zuvor Anzeige gegen Nuhr wegen angeblicher Islamhetze erstattet.
Nun haben sich die Kabarettisten Bruno Jonas und Andreas Rebers mit ihm solidarisiert. Jonas räumte gegenüber dem Münchner Merkur ein, dass sich ein gläubiger Muslim durch islamkritische Worte beleidigt fühlen könnte. Dies sei jedoch subjektiv und die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut. Er beobachte, dass Muslime im Gegensatz zu Juden und Buddhisten "gerne einmal beleidigt sind, wenn man sich über ihren Glauben lustig macht. Humor und Fanatismus scheinen einander auszuschließen".
Rebers bezeichnete den Anzeigenerstatter gegenüber der Zeitung als "religiösen Faschisten". In Deutschland treibe eine Minderheit eine Mehrheit vor sich her. Er sei beunruhigt über die Gleichgültigkeit der deutschen Gesellschaft gegenüber radikalen Gruppen. Rebers sieht im konkreten Fall Toleranz als gänzlich unangebracht. "Mit Islamisten gibt's nichts zu diskutieren." Bruno Jonas riet Nuhr zur Gelassenheit wegen der Anzeige.Im Interview spricht Nuhr über den Vorfall.

Haben Sie als Erstes gelacht, sich geärgert oder sich Sorgen gemacht, als Sie hörten, dass ein Moslem aus Osnabrück Sie angezeigt hat und Sie als "islamophober Hassprediger" bezeichnet hat?
Dieter Nuhr: Ich habe gelacht, weil das einfach komisch ist. Das ist die übliche Methode der Verdrehung, mit der Radikale arbeiten. Sie wenden den Vorwurf, der sie zu Recht trifft, gegen ihre Kritiker. Den Trick kennen auch die Nazis, die dann scheinbar für Meinungsfreiheit demonstrieren. Geärgert habe ich mich erst später. Darüber, dass ich durch das immense Medienecho zum Skandalisierungsobjekt geworden bin. Da habe ich keine Lust drauf. Ich möchte in Ruhe auf Tournee gehen, sagen, was ich denke, Menschen treffen, diskutieren.

Religiöser Fanatismus ist seit vielen Jahren ein Leitmotiv in Ihrem Programmen. Warum?
Nuhr: Weil ich Fundamentalismus jeder Art, auch den religiösen, gefährlich finde. Ich möchte so leben, wie ich will, und mir das nicht von irgendwem vorschreiben lassen. Die Freiheit der Bürgergesellschaft halte ich für eine immense Errungenschaft. Die 68er haben seinerzeit einen wichtigen Teil dazu beigetragen. Heute, wo es zum ersten Mal seit langem ernsthafte Gegner gibt, die diese Bürgergesellschaft angreifen, tun sie sich leider schwer damit, diese klar zu benennen. Die Bürgergesellschaft hat leider zu wenige wahrnehmbare Fürsprecher. Und bei Themen, bei denen es so heikel wird wie beim Islam, wird das Feld den Rechten überlassen. Das ist ein fataler Fehler. Weil es dazu führt, dass diejenigen, die sich da zu Wort melden, das ganze Thema gleich mit diskreditieren. Wenn jemand grölt: ,Deutschland muss rein bleiben, Islam raus', kann und darf man das nicht ernst nehmen.

Haben Sie Sorge, dass nun wieder alle in einen Topf geworfen werden, die friedlichen und vernünftigen Moslems und die Fundamentalisten?
Nuhr: Das ist das Tragische an dieser ganzen Debatte. 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland verstehen den Koran nicht als konkrete Handlungsanweisung, sondern sehen ihn in seinem historischen Kontext. Man muss allerdings das Radikale und Gefährliche benennen dürfen, ohne dass daraus automatisch eine Stigmatisierung der großen Masse wird. Selbstverständlich sind auch beim Islam die Dinge nicht schwarz-weiß. Weder sind alle Muslime nett und anständig, wie es mancher Multi-Kulti-Romantiker uns gerne weismachen will. Noch sind alle gefährlich, nur weil es ein paar Verrückte unter ihnen gibt. Hilfreich wäre sicher, wenn sich die große Masse der Vernünftigen selbst immer wieder klar von den Verrückten distanzieren würde.

Ist das Recht, verspottet zu werden, ein Grundrecht, das auch für Religionsgemeinschaften gilt?
Nuhr: Selbstverständlich. Dieses Recht hat jeder Sportverein und jede Religion. Wenn mir jemand sagt, eine Pointe beleidige seine religiösen Gefühle, entgegne ich: ,Und Ihr Fundamentalismus beleidigt mein Gefühl für Logik.' Das heißt aber nicht, dass Satire alles darf. Beschimpfungen, Beleidigungen, Hetze sind nie wertvoll.

Die Diskussion hat eine unglaubliche Wucht entfaltet. Was schreiben Ihnen die Menschen?
Nuhr: Ich habe Vergleichbares nie erlebt. Meine Statements auf Facebook haben mehr als drei Millionen Menschen gesehen. Die Kommentare, die ich auf Facebook bekomme, sind nicht so polarisierend, wie die Diskussion in den Medien suggeriert. Die überwältigende Mehrheit ist dankbar für das, was ich anspreche, übrigens auch etliche Muslime. Ich habe den Eindruck, dass wenn die Häscher der politischen Korrektheit zu sehr die Oberhand über eine Debatte gewinnen, irgendwann der Unterdruck so groß wird, dass er sich Bahn bricht.

Sie sind in ihren Programmen nicht mit der Axt unterwegs, sondern eher mit kleinem Besteck, mehr sezierend als holzend. Wundert es Sie, dass gerade Sie so eine Debatte lostreten?
Nuhr: Vielleicht ist es in einem Skandalisierungsumfeld gerade das, was besonders auffällt: Leise und unaufgeregt die Dinge zu sagen, die halt gesagt werden müssen. Es nutzt nichts, wenn man vor lauter verständlichen Ansprüchen, nämlich ausländerfreundlich, frauenfreundlich, religionsfreundlich und für Meinungsfreiheit zu sein, verstummen muss, wenn sich diese Werte mal nicht alle gleichzeitig bedienen lassen. Zum Beispiel muss man einfach mal feststellen dürfen, dass das Grundrecht auf Datenschutz sehr wichtig ist, das Grundrecht, nicht in die Luft gesprengt zu werden, am Ende aber noch wichtiger. Und dass man in unserem Land zum ersten Mal seit 1945 wieder aufpassen muss, was man sagt, wenn man keine physische Gewalt erleiden will.
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Das Interview führte unser Mitarbeiter Ralf Jüngermann.

Zur Person

Mit Wortwitz und zahlreichen Fernsehauftritten ist Dieter Nuhr zu einem der erfolgreichsten deutschen Kabarettisten geworden. Der studierte Lehrer für Kunst und Geschichte tritt seit 1994 mit Soloprogrammen landesweit auf. Geboren am 29. Oktober 1960 in Wesel (Nordrhein-Westfalen) und aufgewachsen in Düsseldorf, ist er bisher der einzige Künstler, der sowohl den deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett als auch den Deutschen Comedypreis als bester Live-Act gewonnen hat. Ausgezeichnet wurde er auch mit dem Jacob-Grimm-Preis wegen seines Einsatzes für die deutsche Sprache. dpa

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