Reportage Mitten unter ihnen

Trier · Zwölf Mönche leben gemeinsam in der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier-Süd. Ein Besuch hinter Klostermauern.

 Bruder Ansgar öffnet die Tür zum St. Matthias Kloster.

Bruder Ansgar öffnet die Tür zum St. Matthias Kloster.

Foto: Katja Bernardy

Als hier und da erste Lichter in den Wohnungen der Stadt angehen, hat für die Benediktinermönche an diesem Donnerstag der Tag schon begonnen: 5.45 Uhr, romanische Basilika, dreimal schlägt die Glocke. Sie beten, lesen Psalmen, sprechen Fürbitten, schweigen, singen.

„Kommt, lasst uns niederknien vor dem Herrn, denn er ist unser Gott.“

Draußen wird es hell. Nach dem traditionellen Morgengebet (Matutin und Laudes) geht, wer möchte, ins Refektorium - den Speisesaal, groß wie ein Bürgersaal - und frühstückt. Erst schweigend, ab halb acht ist reden erlaubt. Mönche und Gäste bedienen sich am Frühstücksbüfett, sie füllen Schalen und Teller mit Müsli, Obst, Käse, Marmelade, Brot. Einige trinken nur schnell einen Kaffee. Auf einem der hölzernen Frühstücks­tische steht ein XXL-Glas Nutella.

Getreu der Benediktsregel „Ora et labora“ – bete und arbeite – strömen die Mönche aus, zur Arbeit in die Stadt, in der Abtei oder im Garten. Bruder Eucharius, 63, ist Richter und macht sich auf den Weg zum Amtsgericht. Praktikant Joel Girard, 19, aus Passau begleitet ihn drei Wochen lang und lebt mit im Kloster. „Man sieht den Brüdern an, dass sie dieses Leben sehr erfüllt“, sagt der Jurastudent. Dieses Leben ist lebendiger als viele erwarten. Dazu später mehr.

Bruder Simeon, 46, muss an diesem Morgen auf die Asanas auf seiner Yogamatte verzichten, der Planer der Stadt Trier hat es nun eilig, er muss pünktlich in der Europahalle sein. Gast Schwester Rafaela hat keinen Termindruck. Sie lebt in einem Kloster in der Schweiz und kann entspannt in den Tag starten. Denn gemeinsam mit ihrem Bruder Johannes Graf macht sie Urlaub in der Abtei. „Seit fast zehn Jahren kommen wir einmal im Jahr für ein paar Tage hierher“, sagt die Nonne. Im Stadtkloster St. Matthias im Süden der Stadt stehen den Gästen Zimmer zur Verfügung. Sie erinnern an Jugendzimmer der 1980er Jahre, ausgestattet mit dem Notwendigsten. Gäste erhalten einen Schlüssel, der ihnen Türen zu vielen Bereichen des Klosters öffnet. Tabu ist, wo nur die Mönche Zutritt haben. Etwa zu ihren Zellen.

Bruder Clemens, 84, hat den Habit, das schwarze Ordenskleid, schon gegen braune Cordhose, blaue Arbeitsjacke, grünes Hemd, Hosenträger und weiße Mütze getauscht. Flink klettert er die Leiter an einem Baum hoch, um die letzten Zwetschgen zu ernten. Er lebt seit 65 Jahren in der Abtei. 2500 Hühner habe er in den ersten Jahren gehalten und viele Pflastersteine mit seinen Händen verlegt, sagt er. Bruder Clemens ist gelernter Maurer. Seit einem Vierteljahrhundert  kümmert er sich im Klostergarten um die Obstbäume. Oder besser gesagt im Paradies: Ahorn, Libanonzeder, Thuja, Ginkgo, Magnolie, Hortensien, Reben, um nur einiges zu nennen, wächst auf dem sechs Hektar großen Gelände gen Himmel. Mancher Baum steht dort  seit mehr als zweihundert Jahren. Eine Stechpalme erinnert den Mönch an eine Zeit, in der er für ein halbes Jahr in einem französischen Kloster in der Bretagne gelebt hat. Von dort habe er sie mitgebracht, damals winzig, heute meterhoch, sagt er. Das plätschernde Herzstück in der grünen Oase ist der Teich mit Wasser­fontäne. Vor drei, vier Jahren sei er an heißen Sommertagen im Teich geschwommen, sagt Bruder Clemens.

Hundert Meter weiter steht die Tür zu einem kleinen Reihenhaus offen, dort bügelt eine Frau. Sie kommt seit 21 Jahren morgens ins Kloster und kümmert sich in einem Trakt der Abtei um die Wäsche der Mönche. Der Wäscheberg sei im Laufe der Jahre kleiner geworden. 25 Mönche hätten im Jahr 2000 noch in St. Matthias gewohnt, heute seien es zwölf, darunter der Abt. An der Nähmaschine flickt eine Schneiderin die Taschen eines schwarzen Habits. Er besteht aus einer Tunika, darüber wird ein Skapulier, ein Überwurf, getragen. „Die Taschen seien empfindlich, der Ledergürtel scheuere stark am Stoff“, erklärt sie. Sie näht auch neue Habite.

Nebenan steht auf einem Schild „Küche“: Volker Wirtz rührt mal Kakao, mal Möhren-Ingwersuppe und hat den Ofen im Blick. Seit November vergangenen Jahres koche er in der Abtei, sagt er. Der Kakao sei für die Schüler der Trierer Medard-Schule, die jetzt wieder donnerstags im Kloster seien. Die Möhren-Ingwersuppe gebe es als Vorspeise zum Mittagessen. Schnitzel mit Champignonsoße, Erbsen und Kroketten stünden weiter auf dem Speiseplan. Meist wähle er aus, was mittags auf den Tisch komme. Nur ein paar Regeln müsse er beachten: mittwochs vegetarisch, freitags Fisch oder Eier, samstags Eintopf, sonntags festlich. 

Kleider verändern Leute: So wie viele seiner Mitbrüder hat auch Bruder Matthias den Habit getauscht. Er trägt nun eine braune Arbeitshose und ein T-Shirt. Gemeinsam mit zwei Schülern der Medard-Schule kratzt er Moos von einem der vielen Wege, die sich durch den Garten schlängeln. Andere Schüler kehren erste rotbraune Herbstblätter zusammen. „Donnerstag sei Tag der Arbeitswelt“ erklärt ein Schüler. Heißt: Unter Anleitung schnuppern sie dann ins Berufsleben. Bruder Matthias hat zwei Ausbildungen: Bevor der Mann aus dem Niederrhein sich entschied, Benediktinermönch zu werden, war er Maler und Lackierer. Er sagt, im Kloster habe er in der abteieigenen Schreinerei bei Bruder Valerius, heute 90 und der Älteste unter den Mönchen, eine Ausbildung zum Schreiner gemacht. Die Abtei kenne er seit Kindheitstagen. Schon als Messdiener sei er mit den Leuten aus seinem Dorf nach St. Matthias gepilgert,  erzählt er. Erst im Bus, später zu Fuß, 180 Kilometer an vier Tagen. Bei Pilgern ist die Abtei beliebt. Sie liegt auf dem bekannten Jakobsweg und in St. Matthias befindet sich das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen. So erzählt es die Legende.

Die Schreinerei gibt es noch: Der Palais e.V., ein Trierer Kinder-, Jugend- und Familienhilfeverein, hat die Werkstatt und die angrenzenden ehemaligen Kuhställe gemietet. In einem Raum bauen und bemalen zurzeit Männer und Frauen, die schon lange arbeitslos sind oder es schwer haben, eine Ausbildung zu finden, die Kulisse für das kleine Volkstheater der Trierer Mundartband Leiendecker Bloas.

12.30 Uhr: Die Brüder kommen wieder in der Basilika zusammen, alle im schwarzen Habit. Auch der Richter hat seinen Anzug getauscht und verbringt seine Mittagspause in der Abtei. Eine Seniorengruppe setzt sich in die Kirchenbänke, betet und singt mit. Eine Viertelstunde. Dann ist Mittagszeit im Refektorium. Beten, essen, unterhalten, beten. Einer der Brüder isst später, er hat Küchendienst und serviert das Mittagessen, räumt leere Teller, Wasserkaraffen und Tonbecher ab.

Wieder sitzen Gäste mit an den Tischen. „Sie gehören für uns zum selbstverständlichen Alltag“, sagt Bruder Ansgar, 76. Außer im vergangenen Jahr wegen der Pandemie. Da seien die Mönche unter sich geblieben. Bruder Ansgar ist Theologe und Priester. Nachdem er 24 Jahre lang Abt war und Präses der Kongregation der Verkündigung, gehört es heute unter anderem zu seinen Aufgaben, sich um die Gäste zu kümmern. Vormittags hat er am Schreibtisch Anfragen von Menschen, die für ein paar Tage im Kloster leben möchten, beantwortet. Jedem Gast werden während eines Besuchs die Benediktregeln, an denen sich die Mönche orientieren, begegnen. Woran halten sich die Brüder? Der heilige Benedikt habe das Leben nach dem Evangelium in der Gemeinschaft geordnet, sagt Bruder Ansgar. Er nennt drei Grundelemente: gemeinsam beten, arbeiten für die Gemeinschaft und sich mit der Heiligen Schrift beschäftigen.

14 Uhr:  Gästebruder Ansgar schließt den Klosterladen am Abteivorplatz auf. Eine seiner weiteren Aufgaben. Dort verkauft er Devotionalien: Kreuze, Rosenkränze, Ikonen, Heiligen- und Engelsfiguren. Und viele Bücher, Karten, Mirabellenschnaps, Kalender für 2022, und vieles mehr.   

Pilgerkerzen seien die meistverkauften Artikel, sagt er. Lohn oder Geld, das die Brüder erwirtschaften, fließt in die gemeinsame Kasse der Mönche. Wer Geld brauche, bespreche und beantrage dies. Die Mönche bräuchten wenig, denn für das Notwendigste, für Essen und ein Dach über dem Kopf, sei gesorgt. Größere Anschaffungen müssten besprochen werden. „Ich gehe nie in ein Geschäft und kaufe einfach so einen Laptop“, sagt Bruder Ansgar.

Ab Montag wird der Gästebruder selbst Gast sein. In der Schweiz und in Berlin. Dort macht er zwei Wochen lang Urlaub.

 In der imposanten Abteikirche wird gebetet.

In der imposanten Abteikirche wird gebetet.

Foto: Katja Bernardy
 Verschiedene Kutten der Brüder hängen in der Sakristei.

Verschiedene Kutten der Brüder hängen in der Sakristei.

Foto: Katja Bernardy
 Die Mönche speisen unter einem schönen Kreuzgewölbe.

Die Mönche speisen unter einem schönen Kreuzgewölbe.

Foto: Katja Bernardy
  Bruder Clemens hat Pflaumen gepflückt.

Bruder Clemens hat Pflaumen gepflückt.

Foto: Katja Bernardy

Die Brüder treffen sich noch dreimal an diesem Donnerstag: Zur Vesper, zum Abendessen und wenn in vielen Haushalten der Tagesschau-Gong zu hören ist, zum Komplet (Nachtgebet). Und sie beten immer „für abwesende Brüder“. Etwa für den Abt. Er ist zurzeit im Kloster Huysburg in Sachsen-Anhalt. 2004 hat sich das Benediktinerkloster mit der Abtei St. Matthias zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen. Auch dort sind Gäste willkommen, ein paar Tage mitten unter ihnen zu leben. Um der Hektik des Alltags zu entfliehen oder um sich selbst begegnen zu wollen, wie Gästebruder Ansgar sagt. 

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