Rheinland-pfälzische Arbeitsministerin im Interview: "Noch länger arbeiten gehört nicht auf die Tagesordnung"

Trier/Mainz · Müssen wir alle bis 70 Jahre arbeiten, um eine auskömmliche Rente zu haben? Darüber sprach unser Redakteur Bernd Wientjes mit der rheinland-pfälzischen Arbeitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler.

Frau Bätzing-Lichtenthäler, wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass heutige Berufseinsteiger im Rentenalter in Altersarmut fallen?
Sabine Bätzing-Lichtenthäler: Arbeitslosigkeit und Niedriglohn zählen zu den wichtigsten Ursachen. Auch die Aufgabe einer Erwerbstätigkeit wegen mangelnder Vereinbarkeit von Familie und Beruf steigert das Risiko der Einkommensarmut. Dies trifft Alleinerziehende besonders schwer. Armut lässt sich nur dann vermeiden, wenn die Menschen über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen.

Also müssen die Löhne und Gehälter steigen?
Bätzing-Lichtenthäler: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern müssen eingedämmt werden. Wichtig sind eine faire Bezahlung, gute Bildung und die kontinuierliche Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zudem bedarf es zum Beispiel eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, das es möglichst vielen erlaubt, lange im Beruf zu bleiben.

Vor welchen Herausforderungen steht die Rentenversicherung?
Bätzing-Lichtenthäler: Die gesetzliche Rente hängt am Generationenvertrag und lebt davon, dass die aktive Generation Beiträge bezahlt für die Renten der Ruheständler. Es kommt darauf an, dass ein möglichst großer Teil der aktiven Generation eine möglichst starke Erwerbs- und Versicherungsbiografie aufbauen kann. Das nützt nicht nur dem Einzelnen, sondern auch der Rentenversicherung, die so das Beitragsaufkommen erhält, das sie benötigt, um die laufenden Renten zu zahlen. Wichtig sind außerdem ein weiterer Abbau der Arbeitslosigkeit, insbesondere auch bei den Langzeitarbeitslosen und bei den Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen.

Müssen wir alle bis 70 arbeiten?
Bätzing-Lichtenthäler: Für alle, die bis zum 70. Lebensjahr arbeiten können und wollen, sollte dies möglich sein. Für Unternehmen kann es die Sicherung von Expertenwissen, für die einzelnen Personen ein Mehr an Einkommen, Rente und Wertschätzung bedeuten. Es ist aber aus heutiger Perspektive eine Illusion davon auszugehen, dass weitere die Arbeitszeit verlängernde Maßnahmen für den Großteil der Arbeitnehmer ein realistisches Szenario wären. Wir haben ja noch mehr als genug zu tun, um die Anhebung der Regelaltersgrenze auf das 67. Lebensjahr zu verdauen, die ab dem Jahr 2030 umgesetzt sein wird. Nach wie vor stellen die Rentenabschläge ein Problem dar, die diejenigen hinnehmen müssen, die nicht bis zum 67. Lebensjahr arbeiten können. Die Rente mit 70 gehört damit definitiv nicht auf die politische Tagesordnung.

Wie kann aber sichergstellt werden, dass die Rente auskömmlich ist?
Bätzing-Lichtenthäler: Die rentenpolitischen Hausaufgaben, die wir zu lösen haben, sehe ich in der Frage des richtigen Rentenniveaus, in der gezielten Bekämpfung von Einkommensrisiken am Arbeitsmarkt - und in der Zusatzvorsorge und ihrem Zusammenspiel mit der gesetzlichen Rente.

Sichwort Zusatzvorsorge: Wie sollen sich Niedrigverdiener eine private Altersvorsorge, Riester-Rente, leisten können?
Bätzing-Lichtenthäler: Die soziale Staffelung der staatlichen Förderung sollte ja gerade dafür sorgen, dass die Riester-Rente für einkommensschwache Menschen und Familien erschwinglich ist. Aber auch wer seinen Eigenbeitrag für eine Riester-Rente aufbringt, kann häufig nicht damit rechnen, dass er zusammen mit der gesetzlichen Rente seinen Lebensstandard halten wird. Manche befürchten, dass sie nicht einmal das Grundsicherungsniveau erreichen. Eine Riester-Rente kann das nicht auffangen.

Also, was muss getan werden?
Bätzing-Lichtenthäler: Ich sehe die Notwendigkeit der Stabilisierung der Rente auf möglichst hohem Niveau. Dennoch wird auch eine ergänzende Vorsorge auf jeden Fall ein Thema bleiben. Umso wichtiger ist es, dass die Lebensumstände der Geringverdiener berücksichtigt werden und die Löhne stimmen. Entscheidend ist deshalb auch die Erhöhung des Mindestlohns. Bei der ergänzenden Vorsorge sollten wir auch die betriebliche Altersversorgung in den Blick nehmen. Gerade bei den Beschäftigten kleiner und mittlerer Betriebe ist diese Altersversorgung bislang aber nur unterdurchschnittlich verbreitet. Extra

Durchschnittliches Renteneintrittsalter in Rheinland-Pfalz: 2014: Männer 63,9 Jahre, Frauen 67,0 Jahre; 2004: Männer 63,0 Jahre, Frauen 63,6 Jahre. Durchschnittliche Altersrente (Stand: 31. Dezember 2014): Rheinland-Pfalz: Frauen: 533,18 Euro; Männer: 1085,21 Euro; Region Trier: Frauen: 458,92 Euro, Männer: 971,55 Euro Anträge auf Rente mit 63: Rheinland-Pfalz im Jahr 2015 insgesamt 6678 Anträge. Verhältnis Versicherte - Rentner: Im Jahr 2014 kamen in Rheinland-Pfalz 2 483 573 Beitragszahler auf 778 302 Rentner. In der Region Trier kamen 317 556 Beitragszahler auf 93 893 Rentner. wieExtra

Eine Verkäuferin mit zwei Kindern, die im Jahr 2040 im Kreis Trier-Saarburg in Rente geht, erhält 1105 Euro Rente. Je nach Region bekommt sie zwischen 56 und 46 Prozent ihres letzten Monatsgehalts als Bruttorente. Ein Elektroinstallateur im Eifelkreis Bitburg-Prüm erhält 2040 eine Rente von 1483 Euro (zwischen 32 und 38 Prozent seines letzten Monatsgehalts). Eine Sozialpädagogin mit zwei Kindern erhält in 24 Jahren im Vulkaneifelkreis eine Rente von 1670 Euro (zwischen 38 und 45 Prozent des letzten Monatsgehaltes). Ein Lohnbuchhhalter im Kreis Bernkastel-Wittlich erhält 2393 Euro Bruttorente (zwischen 34 und 40 Prozent seines letzten Monatsgehalts). Die Rente eines Ingenieurs beträgt im Jahr 2040 in Trier 2584 Euro (37 bis 37 Prozent des letzten Monatsgehalts). wie (Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft)

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