Rheinland-Pfalz Wie ein Haifisch als Seegurke endete

Hahn · Hahn-Eigner HNA war einer der spektakulärsten Investoren der späten 2010er-Jahre – und ist nun vom chinesischen Staat abhängig. Das betrifft auch den krisengeplagten Flughafen im Hunsrück.

 In der Krise: Der Flughafen Hahn und Betreiber HNA.

In der Krise: Der Flughafen Hahn und Betreiber HNA.

Foto: dpa/Thomas Frey

Die HNA Group tauchte aus dem Nichts auf und schnappte zu. Ständig. Überall. Im Ozean der Raubtierkapitalisten war die HNA in den späten 2010er-Jahren der Weiße Hai. Mit 40 Milliarden US-Dollar biss sich der Unternehmer Chen Feng in diversen Unternehmen fest. Die Flughafengesellschaft am Hahn und mit ihr der Airport war da ein 15-Millionen-Häppchen. Die Luftfahrtfirma wuchs zum „Mischkonzern“ heran, war zeitweise der größte Einzelaktionär der Deutschen Bank.

Weiße Haie müssen ständig in Bewegung bleiben, um atmen zu können. Doch der Beutezug von HNA endete schnell. Erstickt von Schulden in Höhe von 85 Milliarden Dollar (2018) trudelte eines der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt Richtung (Ab-)Grund. Am 29. Februar 2020 musste die Heimatprovinz Hainan den Konzern retten. Statt im Kapitalozean nach Anteilen, Beteiligungen und Übernahmen zu jagen, ist die HNA nun den Überlegungen der chinesischen Regierung ausgeliefert. Wie eine Seegurke den Strömungen auf dem Meeresgrund.

Was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Kürzel HNA? 1993 war die Antwort einfach: eine regionale Fluggesellschaft. Inzwischen findet sich häufig der Begriff „Konglomerat“. Dahinter versteckt sich ein Firmengeflecht, so komplex, wie man es in Rheinland-Pfalz nur vom dubiosen Pensionsfonds der noch dubioseren Ära Ingolf Deubels kennt. Die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank kündigte einst an, das Konstrukt überprüfen zu wollen, hat das aber bisher nicht getan. Es gibt viele Gerüchte, jedoch wenige belastbare Fakten. Diese deuten aber auf ein Scheitern der HNA hin.

Mitgründer und Verwaltungsratschef ist Chen Feng. Er hat in Deutschland studiert, seinen MBA in Maastricht absolviert. Er ist Buddhist. Kein ganz unwichtiger Faktor. Denn: Obwohl es immer wieder Gerüchte über eine etwaige Staatsnähe (Kommunistische Kader sollen Aktien gehalten haben) gab, spricht vieles dafür, dass Feng sein Unternehmen eher nicht im Sinne der Kommunistischen Partei (KP) geführt hat. Neben seinem Bekenntnis, was in China eher geduldet als akzeptiert ist, spricht dafür vor allem das aggressive Finanzierungsmodell. Statt – wie die chinesischen Staatskonzerne – mit viel Eigenkapital zu arbeiten, setzte Feng wie westliche Kapitalgesellschaften auf fremdes Geld. Oft auch kurzfristig angelegt. Bis Ende des Jahres 2020 erwähnt das KP-Parteiblatt „Global Times“ einen Refinanzierungsbedarf in Höhe von 95 Milliarden (!) Dollar.

Dieses System florierte zwei Jahre lang, um dann – als Corona noch eine mittelmäßig bekannte mexikanische Biersorte war – zu implodieren. Schon im Jahr 2019 generierte die HNA Group aus ihren riesigen Umsätzen keinen Gewinn, sondern 3,5 Milliarden Dollar Verlust. Schon damals schickte der chinesische Staat Notkredite (3 Milliarden Dollar) und mit ihnen Finanzbeamte. Die KP hatte nun erstmals auch offiziell erkennbaren Einfluss auf das Unternehmen. Zuvor waren es wieder einmal nur Gerüchte. Vergleichbare Firmen wie Anbang, Fosun und Dalian Wanda wollte der Staat „durchleuchten“. Das Ergebnis dieser Transparenzoffensive ist streng geheim. Einen mittelbaren Einfluss gab es freilich immer. Einer der größten HNA-Gläubiger war stets die Chinesische Entwicklungsbank.

Die hat spätestens seit Ende Februar auch direkten Einfluss auf die Geschäfte der Gruppe: Zu diesem Zeitpunkt musste die Provinz Hainan ihre prominenteste Firma retten. Egal wie breit gestreut die Investments auch waren, das Kerngeschäft Luftfahrt mit allen seinen Aspekten siechte mit Corona dahin. Eine Troika aus Entwicklungsbank, ziviler Luftfahrtbehörde und Regierung leitet nun die Geschicke der HNA.

Doch was bedeutet diese Entwicklung für die rheinland-pfälzische Tochter, die Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH? Der Hahn war für die HNA Group stets ein Investitionsprojekt. Bis zu 75 Millionen Euro sollten fließen. Immerhin 10,3 Millionen sind nun zumindest angekündigt. Viel mehr wird angesichts der schlechten Gesamtlage wohl nicht mehr passieren. Die Rating-Agentur Moody‘s zeichnet folgendes Szenario: Die Experten erwarten eine Rückbesinnung der Gruppe auf das Kerngeschäft. Dabei sollen auch Beteiligungen verkauft – oder in die Insolvenz geschickt werden. Der Luftfahrtdienstleister Swissport steht mit Preisschild im Schaufenster. Zwei belgische Tochterfirmen mit gleichem Geschäftsmodell ereilte die Zahlungsunfähigkeit. Die Situation am Hahn ist anders gelagert. Der Flughafen kann als Standort einen Wert an sich darstellen. Nicht für eine expansive Firma wie die HNA, wohl aber für eine expansive Wirtschaftsmacht wie China.

Das Land baut auf der ganzen Welt Infrastruktur auf, ist beispielsweise Eigentümer vieler Straßen im rheinland-pfälzischen Partnerland Ruanda. Viele Mittelmeerhäfen gehören faktisch dem chinesischen Staat. In einer erfolgreichen Industrienation wie Deutschland ist es deutlich schwieriger, solche betonierten Einflussmittel zu gewinnen. Ein Flughafen frei Haus ist willkommen. Denn das größte geopolitische Vorhaben der KP ist die neue Seidenstraße. Der Brückenkopf mitten in Deutschland, gebaut und verkehrstechnisch angeschlossen durch Steuergeld, ist dabei ein Geschenk.

Kurios: Das Land musste sich einst wegen des EU-Beihilferechts vom Hahn trennen. Nun ist er wieder in Staatshand. Völlig legal. Und so mag HNA als Seegurke geendet sein. Den neuen Spitzenprädator China ficht das nicht an. Ob dieser Ausgang machtpolitisch wünschenswert ist, darf man infrage stellen. Für die Menschen in der Region um den Hahn wäre es wirtschaftlich wohl die beste Lösung.

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