Interview SPD-Fraktionsvorsitzende Sabine Bätzing-Lichtenthäler: „Wir können gerne auch eine dritte Ampel-Koalition machen“

Mainz · In der Berliner Koalition kracht es immer wieder, zuletzt wegen des gescheiterten Tankrabatts. Und wie läuft es im Vorbild-Land für die Ampel, Rheinland-Pfalz? Im Interview spricht die SPD-Fraktionsvorsitzende Sabine Bätzing-Lichtenthäler über die Konflikte mit Grünen und FDP, was sie gegen die Inflation tun würde und darüber, ob sie ein Auge auf die Nachfolge von Malu Dreyer geworfen hat.

 Bis kurz nach der Landtagswahl war Sabine Bätzing-Lichtenthäler noch Gesundheitsministerin in Rheinland-Pfalz.

Bis kurz nach der Landtagswahl war Sabine Bätzing-Lichtenthäler noch Gesundheitsministerin in Rheinland-Pfalz.

Foto: dpa/Thomas Frey

Frau Bätzing-Lichtenthäler, in Berlin streitet die Ampelkoalition ununterbrochen, überträgt sich der Unmut langsam auf Rheinland-Pfalz?

Das färbt nicht ab. Mit Blick auf den Bund darf man aber nicht vergessen: Die Ampel in Berlin ist ja noch ganz frisch und stand mit dem Krieg direkt zu Beginn vor einer weiteren riesigen Herausforderung.

Was machen Sie hier im Land denn anders?

Was wir anders machen, kann ich nicht sagen. Unser Credo ist: Die Ampel ist ein gutes Modell, wenn man sich vertraut und auf Augenhöhe begegnet. Aber es ist nicht Parteiprogramm in Reinkultur. Über die unterschiedlichen Positionen sprechen wir in der Koalition offen.

Manchmal bringen Konflikte ja auch Fortschritt.

Knirscht es, heißt es, es fehle Einigkeit. Läuft es gut, bekommen wir immer den Vorwurf, Schönwetterpolitik zu machen. Es ist in unserem Dreierbündnis nicht so, dass wir keine Konflikte haben. Wir können das aber aushalten.

 Bätzing-Lichtenthäler (links) - eine mögliche Dreyer-Nachfolgerin?

Bätzing-Lichtenthäler (links) - eine mögliche Dreyer-Nachfolgerin?

Foto: dpa/Andreas Arnold

Das heißt, Sie können sich die Ampel auch für die Zukunft vorstellen?

Wir können gerne auch eine dritte Ampel-Koalition machen. Derzeit sehe ich keine Option, die besser funktionieren würde.

Die Freien Wähler schielen ja durchaus auch Richtung Regierungsbeteiligung.

Das müssen die Wählerinnen und Wähler entscheiden, ob sie den Freien Wählern diese Verantwortung zutrauen.

Im Bund steht ihre Regierung derzeit für die verfehlte Entlastungspolitik in der Kritik. Halten Sie wirklich die Übergewinnsteuer, die Sie vor zwei Wochen im Landtag vorgeschlagen haben, für eine Lösung?

Es gibt da kein Patentrezept. Der Tankrabatt ist auf jeden Fall gescheitert. Er sollte Entlastung bringen, hat aber dazu geführt, dass die Mineralölkonzerne sich die Taschen voll machen. Jetzt müssen wir das Kartellrecht verschärfen. Ehrlicherweise wird das aber nicht so schnell helfen.

Und die Übergewinnsteuer ist wieder vom Tisch?

Für mich ist das noch nicht vom Tisch. Aber wir erleben von Seiten einiger Parteien eine deutliche Zurückhaltung.

Hat die SPD zu lange gebraucht, das Thema Inflation und ihre Auswirkungen deutlich anzusprechen? Die CDU hat ihnen das kürzlich im Landtag vorgeworfen.

Die CDU hat auch nicht mitbekommen, was wir als Landtagsfraktion alles gemacht haben. Schon im letzten Herbst haben wir uns mit steigenden Energiepreisen unter anderem mit der Verbraucherzentrale auseinandergesetzt.

Aber reicht es aus, erst am Ende der Kette anzusetzen, wenn Menschen mit einer Stromsperre schon das Schlimmste droht?

Nein, aber wir müssen uns auf Landesebene auf die Dinge konzentrieren, die wir selbst beeinflussen können. Was nicht heißt, dass wir nicht auch die Bundespolitik adressieren.

Wie viel kann der Staat denn überhaupt noch in diesen multiplen Krisen auffangen?

Der Staat kann nicht alles kompensieren und das muss er auch sagen. Natürlich ärgern sich Menschen mit etwas höherem Einkommen auch über höhere Preise. Aber wir müssen denen helfen, die sich kaum noch den nächsten Einkauf leisten können – das geht teils bis in die Mittelschicht.

Also wird es für Sie höchste Zeit über eine Vermögenssteuer zu sprechen?

Eine Vermögenssteuer ist auf der Bundesebene aktuell nicht umsetzbar. Deswegen diskutieren wir ja über andere Instrumente.

Krieg, Flut und Corona dominieren noch immer den Alltag der Landesregierung. Bleiben Aufbruch und Zukunftschancen, wie Sie ihren Koalitionsvertrag genannt haben, zunehmend auf der Strecke?

Trotz dieses Krisenmanagements ist es uns gelungen, gut zu regieren und zu gestalten. Aber das ist ein unglaublicher Kraftakt. Wer hätte gedacht, dass wir in so einem Jahr das Solargesetz, die Änderung der Landesverfassung zur Entschuldung der Kommunen oder die Änderung des Landesentwicklungsplans hinbekommen? Und wir haben ja auch noch vier Jahre Zeit.

Können die hoch verschuldeten Kommunen bald wieder anständig von ihrem Geld leben?

Der reformierte kommunale Finanzausgleich wird Gelder nach Bedarf verteilen. Aber die Kommunen müssen auch ihr größtmögliches Einnahmepotenzial ausschöpfen.

Also müssen sie ihre Steuern weiter erhöhen?

Da, wo es nötig ist, ja. Das ist auch ein Gedanke der Solidarität. Denn es gibt Kommunen, die schon einen ausgeglichenen Haushalt haben.

Der Klimawandel wartet nicht. Sie haben noch acht Jahre Zeit, um ihr selbst gestecktes 100-Prozent-Ziel bei den erneuerbaren Energien zu erfüllen. Die Unternehmer und auch der Naturschutzbund sagen, dass derzeit alles viel zu langsam geht.

Es ist ein ambitioniertes Ziel. Aber unter anderem mit dem Landesentwicklungsplan haben wir neue Regelungen geschaffen, die Schwung bringen werden. Momentan bin ich auf einer Dörfer-Tour und erlebe immer mehr, dass sich die Gemeinden mit der Windenergie als Chance beschäftigen. Das erhöht auch die Akzeptanz.

Häufig hängt es ja nicht am Widerstand aus der Bevölkerung, sondern an schleppenden Genehmigungsverfahren oder dem Artenschutz.

Deswegen wollen wir die Genehmigungsverfahren von der kommunalen Ebene hin zu den Struktur- und Genehmigungsdirektionen verlagern. Dann wird es schneller gehen.

Räumen Sie dem Thema Klimaschutz wirklich genug Bedeutung ein?

Der Klimaschutz genießt in der Koalition höchste Priorität.

Warum dauert es dann noch so lange, bis das 365-Euro-Ticket kommt?

Für bestimmte Gruppen wird das Ticket definitiv in dieser Legislaturperiode kommen. Das Umweltministerium ist vor allem durch die Flut aber derzeit auch mit wichtigen anderen Themen beschäftigt.

Wie bewerten Sie denn das 9-Euro-Ticket?

Am Anfang war das ein großer Hype, aber das ist auch ok. Es geht ja darum, mehr Menschen für den Nahverkehr zu interessieren.

Müssten Sie das 365-Euro-Ticket dann nicht einfach allen Personen anbieten und nicht nur jungen Menschen?

Letztlich muss es den Menschen mit Blick auf den öffentlichen Nahverkehr in Rheinland-Pfalz auch etwas bringen. Von meinem Wohnort kann ich zum Beispiel nicht mit dem Zug morgens aus dem Westerwald nach Mainz fahren.

Um junge Menschen geht es derzeit auch bei der Diskussion um die allgemeine Dienstpflicht, die ihr Bundespräsident ins Spiel gebracht hat. Halten Sie das für eine gute Idee?

Wir fahren mit der Freiwilligkeit besser, müssen aber nochmal Einiges tun, um unsere Programme wie den Freiwilligendienst attraktiver zu gestalten. Eine Dienstpflicht halte ich für den falschen Weg. Wir haben Fachkräftemangel und brauchen dringend Menschen auf dem Ausbildungsmarkt.

Sie waren mal Gesundheitsministerin. Welche Corona-Strategie würden Sie in ihrer alten Rolle für den kommenden Herbst vorschlagen?

Zunächst mal habe ich eine neue Rolle und die nun handelnden Personen werden sicherlich eine gute Strategie finden. Ich könnte mir vorstellen, dass wir die Impfkampagne wieder hochfahren und den vulnerablen Gruppen die vierte Impfung anbieten. Wenn der angepasste Omikron-Impfstoff da ist, könnten wir auch noch einmal die ganze Bevölkerung ansprechen.

Ist mittlerweile nicht klar, dass diese Strategie gescheitert ist, sofern die Varianten nicht schlimmer werden?

Ein Fehler der damaligen Debatte um die allgemeine Impfpflicht war, dass sie zu spät gekommen ist. Im Herbst kann das Impfen aber wieder zum Thema werden.

Welche Corona-Regeln können Sie sich für den Herbst und Winter vorstellen?

Das lässt sich jetzt kaum sagen, da gibt es noch viele unbekannte Faktoren. Vielleicht brauchen wir wieder Masken, vielleicht 2G oder 3G. Einen Lockdown werden wir aber hoffentlich nicht mehr erleben.

Was werden denn dann die entscheidenden Zahlen sein, an denen wir uns orientieren?

Wir müssen weiterhin eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden. Da sind Indikatoren die Fälle auf den Intensivstationen oder zu viele Ausfälle beim Personal selbst.

Warum sind sie eigentlich mitten in der Pandemie vom Gesundheitsministerium an die Fraktionsspitze gewechselt? Hätte hier nicht Kontinuität gut getan?

Es gibt ja eine Kontinuität, die allermeisten Personen arbeiten ja weiter im Ministerium. Und der jetzige Gesundheitsminister managt das sehr gut. Durch die Umgestaltungen nach der Wahl standen aber damals Wechsel an – und für mich persönlich ist der Fraktionsvorsitz das Herz des Parlaments.

Also die bisherige Krönung ihrer politischen Karriere?

Ja, das macht mir wirklich Spaß. Es ist nochmal mehr Politik.

Stört es Sie eigentlich, dass bei der Diskussion um die Nachfolge von Malu Dreyer immer von der Kronprinzenfrage gesprochen wird?

Ich weiß gar nicht, warum überhaupt über die Nachfolge von Malu Dreyer gesprochen wird. Das Thema eines Kronprinzen oder einer Kronprinzessin bewegt uns aktuell nicht, wir haben viele andere wichtige Themen. Viel interessanter finde ich, dass die CDU ständig auf der Frage herumreitet und uns vorwirft, dass der Wettbewerb um die Nachfolge das Land lähme. Seit wann bitte lähmt Wettbewerb? Ein interessanter Ansatz für kommende wirtschaftspolitische Debatten mit der CDU.

Jetzt lenken Sie ab. Würden Sie denn nein sagen, wenn Malu Dreyer anrufen würde?

Wenn man in der Politik ist, will man auch gestalten und die Macht dazu haben.

Zur Person:

Sabine Bätzing-Lichtenthäler ist seit Mai 2021 Fraktionsvorsitzende der SPD im rheinland-pfälzischen Landtag. Zuvor war sie knapp sieben Jahre lang Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie in Rheinland-Pfalz. Ihre politische Karriere begann Bätzing-Lichtenthäler jedoch in Berlin, wo sie von 2002 bis 2014 Abgeordnete im Deutschen Bundestag für den Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen war. Die 47-Jährige ist verheiratet und lebt mit ihren zwei Kinder in Forst im Westerwald.

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