Rösler nimmt Kampf mit Pharma-Lobby auf

Im Kampf gegen die Kostenexplosion bei Medikamenten hat die schwarz-gelbe Regierung gestern in Berlin "Eckpunkte" einer Reform präsentiert.

Berlin. (red) Stolz waren alle Unterhändler, ganz besonders der CDU-Gesundheitexperte Jens Spahn: "Das hätten gerade dieser Koalition wohl wenige zugetraut", sagte er gestern. Tatsächlich: Die oft der Nähe zur Pharma-Lobby gescholtene schwarz-gelbe Regierung präsentierte in Berlin "Eckpunkte" einer Reform, die die Kostenexplosion bei den Medikamenten in den Griff bekommen soll. Wenn das neue System wirkt, hätten die Hersteller zwei Milliarden Euro weniger in den Kassen, immerhin ein Minus von mehr als sechs Prozent der Gesamtausgaben für diesen Bereich. Kurzfristig soll ein Preisstopp verhängt werden, um sofort Effekte zu erzielen.

Das 1989 zur Kostendämpfung eingeführte Festbetragssystem für verschreibungspflichtige Arzneimittel war in den vergangenen Jahren von den Herstellern zunehmend umgangen worden. Bei den Festbeträgen werden gleiche oder ähnliche Arzneimittel in Gruppen sortiert und die Preise der günstigsten als Richtlinie für jede Gruppe festgelegt. Mehr erstatten die Kassen nicht. Da das System nicht für neu entwickelte Arzneien gilt, hatte es hier ein Schlupfloch gegeben, das zuletzt zum Scheunentor geworden war. 2009 fielen von den 32 Milliarden Euro Ausgaben schon neun Milliarden auf Medikamente mit neuen Patenten, für die die Hersteller die Preise selbst bestimmen dürfen. Mit einem Ausgabenplus von 8,9 Prozent verursachten diese Arzneimittel allein den gesamten Kostenanstieg von 1,5 Milliarden Euro, denn die Festbetrags-Arzneien wurden sogar zwei Prozent günstiger.

Zudem waren die angeblichen Neuentwicklungen in Wirklichkeit oft nur andere Mischungen längst bekannter Substanzen. Aber auch echte Spezialpräparate wurden wegen der laxen Preisgestaltung zum Kostentreiber: Sie machten zuletzt 26 Prozent der Medikamentenkosten aus, bei nur 2,5 Prozent aller Verordnungen. Künftig dürfen die Hersteller neu patentierte Arzneien zwar zunächst weiter zu ihrem Wunsch-Preis vermarkten, müssen den Behörden aber von Beginn an ein Dossier vorlegen, das den medizinischen Zusatznutzen in Relation zu den Zusatzkosten belegt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet dann innerhalb von drei Monaten, ob das Präparat tatsächlich neu ist. Wenn nicht, kommt es in das Festbetragssystem, und es gilt der Preis der vergleichbaren Produkte. Klagen gegen eine solche Entscheidung haben keine aufschiebende Wirkung. Wenn das Medikament aber tatsächlich als neu eingestuft wird, kann der Gesamtverband der Krankenkassen mit dem Hersteller über den Preis verhandeln. Gelingt innerhalb eines Jahres keine Einigung, legt eine Schiedsstelle spätestens nach drei Monaten fest, was das Präparat kosten darf, und zwar auf der Basis internationaler Vergleichspreise.

Maximal 15 Monate lang also kann ein Unternehmen künftig noch einen überhöhten Preis kassieren - den es dann allerdings nicht nachträglich zurückzahlen muss.

Meinung

Kleiner Schritt

Die ganze Wirtschaft funktioniert nach dem Prinzip des Kostendrucks. Nur ein Bereich hält sich raus: Das Gesundheitswesen. Extragewinne, marktbeherrschende Stellungen, mangelnde Kontrollen, Selbstbedienung, Verwaltungsluxus - es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt. Es ist der schwarz-gelben Koalition hoch anzurechnen, dass sie nun wenigstens bei den Pharmakonzernen ein Stoppsignal setzt. Was von Gesundheitsminister Philipp Rösler vorgeschlagen wird, ist dauerhaft, also strukturell wirksam, weil endlich Marktbedingungen geschaffen werden. Die Anbieter können die Medikamentenpreise nicht mehr einseitig diktieren. Man wird sehen, wie lange Union und FDP dem Lobbyisten-Sturm standhalten, der jetzt aufkommen wird. Und ob bei Details neue Schlupflöcher gebohrt werden. Aber selbst wenn diese mutige Reform gelingt, dann löst sie doch nur einen kleinen Teil des Problems. nachrichten.red@volksfreund.de

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